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Crashkurs

Crashkurs

Titel: Crashkurs
Autoren: Dirk Müller
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weltumspannenden Kapitalmärkte wirken in diesem Bild wie ein Turbo, der das Geld nach Asien schaufelt. Eine Arbeiterin in einer chinesischen Fabrik bekommt 100 Euro Monatslohn für eine Achtundvierzigstundenwoche. Das entspricht dem Krankenkassenbeitrag eines deutschen Hilfsarbeiters. Wir haben also noch viel Platz, um uns anzunähern.
    Die Frage ist doch: Warum wurde diese Staumauer eingerissen? Wir verlieren nicht nur unseren Wohlstand, sondern auch unsere Werte, die sich das westliche System über Jahrhunderte durch harte Arbeit erworben hat. All die Rechte, für die Arbeiter vor vielen Jahrzehnten auf die Straße gegangen sind, stehen jetzt vor der Auflösung. Dass die Gewerkschaften in jüngerer Zeit nicht mehr ganz auf der Höhe des Geschehens waren, sei’s drum. Man kann über die Gewerkschaften trefflich diskutieren. Aber sie haben in den letzten hundert Jahren dazu beigetragen, dass sich in Europa eben nicht ein Superkapitalismus wie in China durchgesetzt hat, sondern eine soziale Marktwirtschaft mit Vorteilen für alle Menschen innerhalb dieses Systems: Einführung der Krankenversicherung, soziale Absicherung bei Arbeitslosigkeit, Umweltschutz, Abschaffung der Kinderarbeit. All das wurde über viele Jahrzehnte in Europa und Amerika erkämpft. Lauter Dinge, die den reinen Kapitalismus Gewinn kosten. Zum Wohle aller. Darüber sind sich alle – bis auf einige Arbeitgeberverbände – in unseren Ländern einig. Doch jetzt verkaufen wir unsere Werte.
    In einer europäischen Waschmaschine ist beispielsweise Umweltschutz mit eingebaut. Das kostet Geld. Um die Kosten des Umweltschutzes ist diese Waschmaschine daher teurer. Das ist richtig so. In dieser Waschmaschine ist noch viel mehr eingebaut. Die Absicherung der Bevölkerung bei Arbeitslosigkeit beispielsweise. Kindergartenplätze und sogar das Verbot von Kinderarbeit sind eingebaut. In einer asiatischen Waschmaschine sind all diese Dinge nicht installiert. Hier kaufen wir das pure technische Gerät. In dem sind oft Kinderarbeit installiert und Umweltverschmutzung. Deshalb ist es so viel billiger. Aber was ist die logische Folge? Wenn niemand mehr die europäische Waschmaschine kauft, bezahlt auch niemand die eingebauten sozialen Errungenschaften. Niemand bezahlt mehr dafür, dass wir die Werte unserer Gesellschaft weiterführen können. Also müssen wir uns von den Werten verabschieden, die uns so wichtig waren. Das fängt langsam an und beschleunigt dann immer mehr.
    Sie haben es noch nicht gemerkt? Die Verkürzung des Arbeitslosengeldes, Hartz IV. Drastische Reduzierung der Renten, indem man trotz 10 Prozent realer Inflation die Renten einfach nicht erhöht. Verkürzung der Schulzeit und frühere Einschulungen. Nicht, weil das angeblich besser für die Kinder ist, sondern weil man dadurch Geld spart bei Lehrern und Kindergärten. Verlängerung der Wochenarbeitszeit. Langsam, aber merklich. Es ließen sich noch einige Buchseiten mit weiteren Beispielen füllen.
    Wir Verbraucher sind also doch eigentlich die größten Globalisierungsfreunde, denn wir kaufen diese billige Waschmaschine. Klar, aus moralischen Überlegungen sollte ich …, aber ich hab’s jetzt nicht so dicke …, ich muss auch sehen, wie ich rumkomme … Das machen aber alle so. Die Folge ist der Ausverkauf der Werte. Die heimischen Hersteller müssen ihre Sozialstandards immer weiter reduzieren, die Gehälter einfrieren oder kürzen. Stellen abbauen. Optimieren. Irgendwann genügt das nicht mehr, weil der Unterschied der Produktionskosten zwischen der chinesischen und der deutschen Waschmaschine einfach zu groß ist. Dann wird das Unternehmen Druck auf die Gewerkschaften machen, vielleicht doch einer Arbeitszeitverlängerung zuzustimmen. Wenn alles nicht genügt, wird es die Pforten schließen und ein neues Werk in Asien eröffnen. Oder ein Handywerk in Bochum durch eines in Rumänien ersetzen. Das wird so lange weitergehen, bis sich die Preise angeglichen haben. Und da Europa sich immer noch vehement wehrt, die Kinderarbeit wieder einzuführen, wird das so schnell nicht passieren. Sie sehen: Nicht nur der Wohlstand gleicht sich durch die Globalisierung an, sondern in seinem Gefolge auch die Werte. Ist es das wert?
    Die Politiker und Wirtschaftsbosse erzählen uns täglich, wie toll und wichtig die Globalisierung ist. Gleichzeitig erklären sie uns, dass wir uns in Zukunft auf deutliche Einschnitte gefasst machen müssen. Wir nehmen das so hin. Warum? Ist die Globalisierung ein gottgegebenes
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