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Crash

Crash

Titel: Crash
Autoren: J. G. Ballard
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gesehen hatte, in dieser Stellung ihrer Oberschenkel ritualisiert waren.
    Ich umklammerte das Lenkrad mit beiden Händen und bemühte mich, mich wieder zu beruhigen. Ein unaufhörliches Zittern schüttelte meine Brust und brachte meinen Atem fast zum Erliegen. Die starken Hände eines Polizisten hielten meine Schultern. Ein zweiter Polizist legte seine Schirmmütze auf die Kühlerhaube neben den Toten und machte sich an der Tür zu schaffen. Der frontale Zusammenstoß hatte die vordere Hälfte des Innenraums komprimiert und die Türen in ihren Schlössern verkeilt.
    Ein Notarzthelfer griff an mir vorbei und schnitt den Stoff meines rechten Ärmels auf. Ein junger Mann in dunklem Anzug zog meine Hand durch das Fenster. Als die Injektionsnadel in meinen Arm eindrang, machte ich mir Gedanken über die berufliche Kompetenz dieses Arztes, der kaum dem Kindesalter entwachsen schien.
    Eine unbehagliche Euphorie trug mich zum Krankenhaus. Ich übergab mich auf das Lenkrad und wurde mir nur zum Teil einer Reihe unerfreulicher Vorstellungen bewußt. Zwei Feuerwehrmänner schnitten die Tür aus den Angeln. Sie legten sie auf den Boden und sahen mich wie die Assistenten eines verwundeten Stierkämpfers an. Selbst ihre kleinsten Bewegungen schienen formalisiert, ihre Hände griffen mit einer Reihe von kodierten Bewegungen nach mir. Hätte einer von ihnen die groben Tuchhosen geöffnet, die Genitalien entblößt und seinen Penis in die blutige Gabelung meiner Achselhöhle gepreßt, so wäre selbst dieser bizarre Akt durch die Stilisierung von Gewalt und Errettung akzeptabel gewesen. Ich wartete darauf, daß mich jemand beruhigen würde, während ich dort in das Blut eines anderen Mannes gekleidet saß und der Urin seiner Witwe Regenbogen um die Füße meiner Retter formte. Durch dieselbe alptraumhafte Logik vermochten es Feuerwehrmänner, die zum Löschen eines brennenden, abgestürzten Flugzeuges herangezogen waren, mit ihren Kohlendioxidlöschern obszöne oder spaßige Sprüche auf den Beton der Landebahn zu schreiben, vermochten es Henker, ihren Opfern groteske Kostüme anzuziehen. Umgekehrt stilisierten die Opfer ihren Tod mit ironischen Gesten, indem sie feierlich die Gewehre des Erschießungskommandos küßten oder imaginäre Flaggen einholten. Chirurgen schneiden sich achtlos, ehe sie ihren ersten Eingriff durchführen, Frauen murmeln ungewollt die Namen ihrer Gelie bten, wenn sie mit ihrem Ehemann zum Orgasmus kommen, die Hure, die den Penis ihres Kunden in den Mund nimmt, beißt unbeabsichtigt ein kleines Gewebestück von der oberen Krümmung seiner Eichel ab. Derselbe schmerzliche Biß, den ich einst von einer müden Prostituierten erhielt, die sich über meine zögernde Erektion ärgerte, erinnert mich an die stilisierten Gesten von Arzthelfern und Tankwarten, die alle über ein Repertoire privater Bewegungen verfügen.
    Später fand ich heraus, daß Vaughan Bilder der Grimassen von Krankenschwestern in seinem Fotoalbum sammelt. Ihre dunkle Haut spiegelte die ganze Sexualität wider, die Vaughan in ihnen entfachte. Ihre Patienten starben im Intervall zwischen zwei Schritten von Gummisohlen, in den rastlosen Konturen ihrer Lenden, die sich am Eingang zu lntensivstationen aneinander preßten.
    Der Polizist hob mich aus dem Wagen heraus, er und sein Kollege legten mich sacht auf die Trage. Ich fühlte mich bereits von der Realität des Unfalls isoliert. Ich versuchte, auf der Trage aufzustehen und schwang meine Beine unter der Decke hervor. Der junge Arzt stieß mich zurück, wobei er meine Brust mit der Handfläche berührte. Überrascht vom Zorn in seinem Blick, legte ich mich wieder passiv auf die Trage zurück.
    Der Leichnam des Mannes wurde von meiner Kühlerhaube heruntergeholt. Seine Frau, die wie eine leidende Madonna zwischen den offenen Türflügeln des Notarztwagens saß, sah dem abendlichen Verkehr mit leeren Augen nach. Die Verletzung ihrer rechten Wange deformierte ihr Gesicht allmählich, während sich das gequetschte Gewebe langsam mit seinem eigenen Blut vollsog. Mir wurde bereits bewußt, daß die ineinander verflochtenen Kühlergrills unserer Wagen das Modell einer unentrinnbaren und perversen Vereinigung zwischen uns bildeten. Ich betrachtete die Konturen ihrer Oberschenkel. Über ihnen bildete die graue Decke einen anmutigen Hügel. Irgendwo unter dieser Wölbung lag der Schatz ihrer Scham. Deren präziser Winkel und Neigung, die unberührte Sexualität dieser intelligenten Frau, überschatteten die
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