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Crash

Crash

Titel: Crash
Autoren: J. G. Ballard
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Muster eines Zeichens - der Abdruck meines Kühleremblems wurde vom Pulsieren seines sterbenden Kreislaufs zu einem deutlich sichtbaren Bluterguß abgebildet.
    Seine Frau, die vom Sicherheitsgurt aufrecht gehalten wurde, saß hinter dem Lenkrad und betrachtete mich auf eine seltsam formelle Weise, als wäre sie sich noch nicht darüber im klaren, was uns beide zusammengeführt hatte. Ihr hübsches Gesicht, das von einer breiten, intelligenten Stirn gekrönt wurde, hatte das ausdruckslose und losgelöste Aussehen der Madonnen auf frühen Renaissance-Ikonen. Nur einmal huschte eine Gefühlsregung darüber hinweg, als sie mich zum ersten Mal klar zu sehen schien, ein spezielles Zittern ließ ihre linke Gesichtshälfte beben, als würde jemand die Nerven wie bei einer Marionette mit einer Schnur kontrollieren. War sie sich darüber im klaren, daß das Blut auf meiner Brust und in meinem Gesicht von ihrem Mann stammte?
    Unsere beiden Autos wurden von einer Menge Schaulustiger umringt, deren stumme Gesichter uns sehr ernst betrachteten. Nach dieser kurzen Pause brach alles in geradezu aberwitzige Geschäftigkeit aus. Ein halbes Dutzend Wagen kamen mit quietschenden Reifen auf dem Seitenstreifen zum Halten. Auf der Western Avenue bildete sich ein dichter Verkehrsstau, Sirenen heulten und Polizeiblinklichter wurden von den Hecks fahrender Autos reflektiert, die in der Gegenrichtung zur Überführung fuhren. Ein älterer Mann in einem transparenten Plastikregenmantel zog unbehaglich an der Beifahrertür hinter meinem Kopf, als befürchtete er, das Auto würde einen starken Stromstoß durch seine dünne Hand leiten. Eine junge Frau mit einer karierten Decke in der Hand beugte den Kopf zum Fenster herab. Sie war nur wenige Zentimeter von mir entfernt und sah mich mit geschürzten Lippen an, als wäre sie eine Trauernde, die auf einen Verstorbenen im offenen Sarg herunterschaut.
    Zu dem Zeitpunkt verspürte ich keinerlei Schmerzen, ich hielt mit der rechten Hand immer noch eine Speiche des Lenkrads umklammert. Die Frau des toten Mannes, die ebenfalls noch den Sicherheitsgurt umgelegt hatte, schien wieder zu Verstand zu kommen. Eine kleine Menschenmenge - ein Lastwagenfahrer, ein dienstfreier Soldat in Uniform und eine weibliche Eiskremlieferantin - hatten die Hände durch die Scheibe gestreckt und berührten allem Anschein nach Teile ihres Körpers. Sie winkte sie beiseite und löste den Gurt über ihrer Brust, ihre gebrauchsfähige Hand fummelte an dem Verschlußmechanismus aus Chrom herum. Einen Augenblick betrachtete ich uns als die Hauptdarsteller eines grimmigen Dramas im ungeprobten Theater der Technologie, an dem auch die zerstörten Karosserien der bei der Kollision ums Leben Gekommenen und die Hunderte von Fahrern teilhatten, die mit blitzenden Scheinwerfern am Rand der Bühne warteten.
    Man half der jungen Frau aus dem Wagen. Ihre ungeschickten Beine und ihre eckigen Bewegungen schienen die verborgenen Stromlinien der beiden Autos zu imitieren. Die rechteckige Motorhaube meines Wagens war aus ihrer Verankerung unterhalb der Windschutzscheibe gerissen worden, und der schmale Winkel zwischen der Motorhaube und den Kotflügeln schien für meinen erschöpften Verstand in allem um mich herum wiederholt zu werden - den Mienen und Haltungen der Zuschauer, der abwärts geneigten Abfahrt der Überführung, den Flugbahnen der Flugzeuge, die vom nahe gelegenen Flughafen starteten. Die junge Frau wurde von einem olivenhäutigen Mann in der Uniform eines arabischen Flugkapitäns behutsam weggeführt. Ein dünner Urinstrom rann ungewollt zwischen ihren Beinen herab und auf die Straße. Der Pilot hielt beruhigend ihre Schultern umfaßt. Die Zuschauer, die neben ihren Wagen standen, betrachteten die Pfütze, die sich auf der ölverschmierten Fahrbahn bildete. Im abendlichen Dämmerlicht umspielten Regenbogen ihre schwachen Knöchel. Sie wandte sich um und sah auf mich herab, ein eigenartiger Gesichtsausdruck umspielte ihr geschwollenes Gesicht, eine seltsame Mischung aus Sorge und Feindseligkeit. Ich jedoch hatte nur Augen für die ungewohnte Gabelung ihres Schritts, der auf diese deformierte Weise für mich geöffnet war. Dabei behielt ich nicht die Sexualität dieser Haltung in Erinnerung, sondern die Stilisierung schrecklicher Ereignisse, in die wir gemeinsam verwickelt waren, die Extreme von Schmerz und Gewalt, die wie die unsaubere Pirouette eines geisteskranken Mädchens, das ich einst während einer Weihnachtsvorführung
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