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Corvidæ

Corvidæ

Titel: Corvidæ
Autoren: Simone Keil
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käfigähnlichen Gestellen. „Oh, nein!“ Ich beugte mich vor, um im Schatten des Kastens besser sehen zu können. Sie hockten nicht auf den Plattformen, sie waren mit ihnen verwachsen. Und die Rohre der Pendel leiteten ihr Blut in den offenen Rachen des Ungetüms, der ebenso pulsierte wie das Ziffernblatt.
    Ich sank zurück in den Blätterwust und betrachtete meine zitternden Hände. „Er ist sein Bruder“, sagte ich. „Er hätte alles getan, um Darko zu retten. Sie sind ein Monster, Doktor.“
    „Ich habe nur getan, was ich tun musste“, sagte sie. „Genau wie Rokan und wie Sie , Catrin, tun werden, was Sie müssen – w as Sie für richtig halten.“
    „Ich muss kotzen“, sagte ich. „Wenn ich Sie ansehe, muss ich kotzen.“
    Der Doktor verschränkte die Arme vor der Brust. „Ic h werde jetzt alles vorbereiten“, sagte sie. „ Die Zeit ist knapp . Nutzen Sie die wenigen Stunden, um sich klar zu werden, was Sie tun wollen.“
    Und so ließ sie mich einfach sitzen, inmitten der Bilder, die mein Leben spiegelten. Oder das, was ich dafür gehalten hatte. Ich schlang die Arme um meine Knie und legte den Kopf darauf. Schlafen, dachte ich, schlafen und nie wieder aufwachen.
    Ein ohrenbetäubender Alarmton weckte mich . Der Körper des Mädchens zuckte unkontrolliert. Ihre Augen waren weit aufgerissen, die Pupillen verdreht. Der Doktor stieß ihr die Nadel einer Spritze ins Herz und injizierte Adrenalin . „Verdammt!“, rief sie. „Wir verlieren sie.“ Der Elektrokardiograph gab einen langgezogenen Ton von sich, der sich direkt in meinen Schädel bohrte. Der Zeiger der Standuhr lief rückwärts und stoppte. Der Doktor ließ die Spritze auf den Boden fallen und sah mich an, ohne ein Wort. Rokan sah mich an. Darko. Ich beugte mich über das Mädchen, berührte ihre Stirn und schloss die Augen. „Tun Sie es, Doktor“, flüsterte ich. „Nun machen Sie schon.“
    Der Doktor schnallte mich an einem zweiten Zahnarztstuhl fest, drückte mir die Atemmaske aufs Gesicht und ich begann von Hundert rückwärts zu zählen. Neben meinem Stuhl, ein Tischchen mit blitzenden blankpolierten Instrumenten. Ich schloss die Augen. Vierundneunzig. Der Schrei des Vaters. Neunundachtzig. Sein Schluchzen. Ein Stich in meiner Armbeuge. Zweiundachtzig. Rauschen in meinem Kopf. Siebenund… Kaltes Wasser.

Kapitel 28

    „ W ir müssen durch den Aquaeductus cochleae . Falls wir eine Genehmigung bekommen.“
    „Zwölfundsechzig.“
    „Intelligent wie eh und je.“
    „Was?“ Ich stützte mich auf meine Unterarme und stöhnte. Er deutete auf den Gehörschutz, den er um den Hals hängen hatte, dann auf meinen Kopf. Ich nahm den Gehörschutz ebenfalls ab und die dumpfe Stille wurde von einem ohrenbetäubenden Rattern abgelöst. „Was machst du denn hier?“, schrie ich gegen das Rattern an.
    „Einer muss dir doch den Weg zeigen, Orientierungsloseste.“
    „Den Weg? Aber ich …“ Kaltes Wasser tropfte auf mein Gesicht. Stalaktiten über mir. „Das ist eine Höhle“, sagte ich und Vorak verdrehte die Augen. „Wie bin ich hierhergekommen?“ Meine Zunge fühlte sich pelzig an. Es war düster und heiß und grässlich laut. Vorak trug einen feuerroten Overall und einen Bergarbeiterhelm mit Lampe auf dem Kopf. „Warum hast du so merkwürdige Sachen an?“, fragte ich.
    Er sah an sich hinunter und zuckte mit den Schultern. „Dienstkleidung. Nicht unbedingt meine Farbe, aber sehr praktisch.“
    Ich wischte mir mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn und stellte fest, dass ich in einem ebenso feuerroten Overall steckte wie der Baumgeist, der gerade eine Landkarte studierte.
    „Also“, sagte er, „ist die Kleiderfrage nun zur Genüge besprochen und können wir weiter?“ Er faltete die Karte zusammen und verstaute sie in seiner Bauchtasche.
    „Nein!“ Ich sprang auf die Füße und hielt mich an der Felswand fest, bis ich meinen Gleichgewichtssinn wieder gefunden hatte. Das Rattern wurde noch lauter. „Was ist denn passiert?“, rief ich. „Ist die Welt untergegangen? Sind wir tot?“
    „Unwissendste, wenn wir tot wären, würden wir wohl kaum hier stehen und uns anbrüllen. Oder hast du etwa die Steinerne Brücke überquert? Ich jedenfalls nicht.“ Er schulterte einen Rucksack, schüttelte den Kopf und murmelte unverständlich vor sich hin. Dann piekte er mich mit dem Zeigefinger in den Bauch. „Und jetzt hör auf die Mission zu verzögern und beweg dich!“
    Nach einigem Suchen fand ich den Schalter an meiner
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