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Corvidæ

Corvidæ

Titel: Corvidæ
Autoren: Simone Keil
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Helmlampe, schaltete das Licht ein, und folgte Vorak. „Wir müssen uns einen Passierschein holen“, sagte er, als ich ihn eingeholt hatte. „Und bitte“, fügte er nach einer kurzen Pause, in der er mich streng ansah, hinzu, „überlass mir das Reden. Die Hörschnecke ist etwas eigen, was die Ausstellung von Dokumenten angeht. Man braucht Fingerspitzengefühl, wenn man etwas von ihr möchte.“
    „Die Hörschnecke ist …“ Ich schloss den Mund und winkte ab. „Schon gut, du wirst es mir sowieso nicht erklären, nicht wahr? Also bitte, gehen wir den Passierschein holen. Und dann, machen wir was genau?“
    „Du bist wirklich ein anstrengendes Exemplar deiner Spezies.“ Er kramte die Karte heraus, warf noch einen flüchtigen Blick darauf und zeigte auf eine Abzweigung, die steil nach oben führte. „Dort entlang.“
    Er setzte den Gehörschutz auf und bedeutete mir, das Gleiche zu tun. Die unnatürliche Stille war unangenehm, aber allemal besser als der Lärm.
    Ich keuchte atemlos, als wir endlich vor einer Tür stehen blieben, und rieb meinen schmerzenden Ellbogen. Der Aufstieg war anstrengend gewesen, der Weg nass und rutschig, zweimal war ich hingefallen. Vorak drückte auf einen Klingelknopf und eine blaue Lampe leuchtete auf. Er gab mir ein Zeichen und wir traten ein.
    Vorak deutete eine Verbeugung an. Und ich star r te mit offenem Mund in ein Paar gelber Augen, die auf langen Fühlern saßen. Langsam nahm ich den Kopfhörer ab und lauschte. „Es ist still“, sagte ich verwundert.
    „Klasse fünf Schalldämmung“, sagte die Schnecke mit sonorer Stimme und gab dabei schmatzende Geräusche von sich. „Fast zwei Jahre lang, habe ich deswegen recht unerquicklichen Schriftverkehr führen müssen. Aber das Ergebnis war der Mühe wert.“ Sie deutete mit dem Kopf auf die violette Wand und ich strich anerkennend über das weiche Material. „Haben Sie schon einmal versucht Mozarts Kleine Nachtmusik zu genießen“, fuhr sie fort, „während Sie von Stimmengeplärr oder anorganischem Geratter hin und her geschüttelt werden?“
    „Nein“, antwortete ich knapp und betrachtete die Schnecke eingehender. Um die Kehle hatte sie eine gerüschte Halsbinde geschlungen, die wohl einmal weiß gewesen sein mochte, aber nun schmierig braun an der Haut klebte. „Aber sagen Sie …“
    „Verehrteste“, fiel mir Vorak ins Wort und schob mich einfach zur Seite, „wir sind mit einer Bitte zu Euch gekommen. Unsere Mission führt uns durch den Aquaeductus cochleae und wir benötigen die dafür notwendigen Papiere.“
    Die Schnecke hatte die Augen geschlossen, wiegte ihren Kopf im Takt einer unhörbaren Melodie und begann zu summen. Vorak stöhnte auf und bedeutete mir still zu sein, lehnte sich mit verschränkten Armen an die Wand und wartete. Im Zimmer gab es einen niedrigen Tisch, der mit Papieren übersät war, aber keine einzige Sitzmöglichkeit. Ich patschte mit den Füßen auf dem klebrig feuchten Teppich herum und entschied mich stehen zu bleiben. Nach einer gefühlten Woche seufzte die Schnecke genießerisch und sagte: „Was willst du denn im Großhirn, Hjálmarr der Dritte?“
    „Ich bin nicht befugt darüber zu reden“, antwortete Vorak. „Unsere Mission ist von äußerster Dringlichkeit, aber nichtgeachtet der Eile in der wir uns befinden, bin ich hoch erfreut, dass unser Auftrag uns das Vergnügen Eurer Gesellschaft beschert.“ Wieder deutete er eine Verbeugung an.
    Die Schnecke lachte glucksend und wandte sich dem Tischchen zu. „Schleimer“, murmelte sie und ich verkniff mir ein Lachen. „Ganz der Vater. Ihr Hjálmarr s seid doch alle ein Haufen von Wortverdrehern und Schönschwätzern.“
    „Aber bitte, Verehrteste!“ Vorak umrundete den Tisch, so dass er der Schnecke gegenüber stand und atmete tief ein. „Spar dir deinen Atem“, sagte die Schnecke. Sie schob die Papiere mit der Nase auf dem Tisch herum und tat sehr beschäftigt.
    „Gut“, sagte Vorak, „dann sparen wir die Höflichkeiten aus. Wir brauchen Passierscheine und zwar sofort. Wenn du Wert auf deine Wohnung und deinen Arbeitsplatz legst, dann stellst du sie uns aus, wir verschwinden wieder und du kannst dich Wolfgang Amadeus widmen, bis dir die Fühler platzen.“
    Die Schnecke schnaufte und blies einige Blätter auf den Boden. „Und warum – zum donnernden Ambos – sollte ich das tun, du Sohn eines ungebildeten Waldschrats?“
    Blitzschnell beugte sich Vorak nach vorne, packte die Schnecke an der Halsbinde und zog sie
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