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Copyworld: Roman (German Edition)

Copyworld: Roman (German Edition)

Titel: Copyworld: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Szameit
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verloren. Das war normal, er sollte sich freuen,
mit dem Leben davongekommen zu sein! Heute weiß Derek, daß Rorik die Kraft des
Holls wollte, um Curdin stürzen zu können.
    Immer enger werden die Kreise des
witternden Holls. Das menschenähnliche Gesicht der Bestie, in dem die Augen
hellgrün glühen wie Elmsfeuer, ist zu einer Fratze verzogen. Allein dieser
Ausdruck von Mordgier kann einem Mann allen Mut nehmen.
    Derek wird es kühl. Seit über
einer Stunde verharrt er reglos zwischen Eis und Schnee, und nur gute fünfzig
Schritte sind es noch bis zur Lichtung, wo er die Leibsense wirbeln, auf- und
niederzucken lassen kann, diese gefährlichste aller Waffen, in deren Gebrauch
ihn Rorik selbst, der höchste Meister des Kriegshandwerks, einst unterwies.
    Ich muß den Zauber wagen, die
Entscheidung erzwingen!   Derek atmet tief
durch: Es wird Kraft kosten, viel Kraft, die in dem Kampf mit dem Holl fehlen
könnte. Aber auch die Kälte frißt unerbittlich die Kraft aus seinem Leib...
    Derek schließt die Augen. Das
Bild eines dampfenden Kruges steigt vor ihm auf. Nein, nicht doch! Er wischt es
ärgerlich beiseite. Daran mag er nicht mehr denken. Zehntausend Schneemäuse hat
er Aja für diesen Trank fangen müssen! Zehntausend, weil jede nur einen Tropfen
Blut hergab. Das Fangen war mühselig, aber nicht das Schlimmste. Trinken mußte
er diesen abscheulichen Sud, einen ganzen Krug! Aja hatte aus diesem Beutelchen
eine Prise hinzugegeben und von jenem Pülverchen, aus dem einen Kistchen ein
paar Körner und aus der anderen Phiole ein Schlückchen – es floß wie heißes
Pech durch seine Kehle.
    Du mußt dein Bild vor dir
erstehen lassen... hört er in Gedanken die Worte über Ajas welke Lippen rinnen.
    Derek zwingt sich zur
Konzentration. Was sollte leichter sein, als sich sein Spiegelbild
vorzustellen, aber da drängen ganz andere Gesichter in seine Gedanken: Rorik –
eisgraue Stirn über schönen, geschwungenen Brauen, unter denen wasserblaue
Augen glitzern. Über dem spöttischen Lächeln die Sichel der Nase, und all das
gerahmt von Locken, die den Kopf wie Sonnenschein umhüllen. Rorik hat sich das
Aussehen eines Jünglings erhalten -_ einer seiner geringsten Zauber. Derek sieht,
wie die ewig lächelnden Lippen sich bewegen, hört Roriks weiche Stimme: “Nur
das Böse ist wirkliche Macht, liebster Derek, nur das Schlechte birgt wahrhafte
Stärke. Gut sind nur die Schwachen, denn ihnen fehlt die Kraft für das Böse.
Alles Gute ist nichts als Heuchelei der Machtlosen und Schwächlinge, so wie der
Maulwurf das Dunkel preist, weil seine Augen zu schwach sind für das machtvolle
Sonnenfeuer. Was brauchen wir beide Recht und Gesetz, lieber Neffe, wenn die
Klingen unserer Leibsensen die Welt so zurechthauen wie es uns gerade in den
Sinn kommt?”
    Derek erinnert sich noch gut an
das helle Lachen, das diesen Worten folgte. Wie recht Rorik doch hatte: Immer
wieder mußte Derek erleben, daß aus Güte Schwäche wuchs und aus Lüge Macht.
Selbst Curdin, sein vom Volk Seemarks verehrter Vater, hatte einmal gesagt, den
Untertanen müsse man hin und wieder die Krallen beschneiden, sonst rissen sie
einem eines Tages das Herz aus dem Leib. Danach ließ er ein Dorf brandschatzen,
das den Zins nicht aufbringen konnte, in dem seine Knechte aber fünfzig Fässer
Selbstgebrannten fanden...
    Über all diesen Erinnerungen
schwebt Roriks Lächeln. Derek schüttelt zornig den Kopf und flüstert: “Weiche
von mir, Rorik! Verschone Vaters Seele!” Das Bild verblaßt. Über ihm kreischt der
Bergholl. Das Ungeheuer stürzt sich zwischen die Eisfichten hinab und schwingt
sich mit einem einzigen Flügelschlag wieder in den nachtschwarzen Himmel empor.
Bald wird es Derek entdecken, dann steht dem jungen Herrscher Seemarks ein
ungleicher Kampf bevor. Erneut versucht er, sich zu sammeln.
    Man sagt, er ähnele seinem Oheim.
Derek hört das nicht gern. Aber da sind die geschwungenen Brauen, das
knabenhafte Gesicht, die blonden Locken. Nur die Fältchen in den Augenwinkeln
machen den Unterschied, den jeder sofort wahrnimmt. Sie sind wie eine
Verlängerung des Strahlens, das selten in Dereks samtbraunen Augen erlischt.
Die glatte Gesichtshaut Roriks hingegen gibt dessen Blick trotz des ewigen
Lächelns etwas Lebloses, als sei er in der Kälte des Bösen schon zu Eis
gefroren.
    Derek sieht das eigene Abbild
greifbar nah vor sich. Nun muß er seinen ganzen Willen zusammennehmen. Ihm ist,
als ergösse sich der Himmel über ihn, als er die Macht der
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