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Copyworld: Roman (German Edition)

Copyworld: Roman (German Edition)

Titel: Copyworld: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Szameit
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dem glitzernden Ding machen soll. Ein Diadem
vielleicht… Der Gedanke gefällt ihm. Mit dem Kauf von Edelsteinen für ein
Diadem könnte er die nächsten Tage gut über die Runden kommen. Nur keine Abzüge
mehr, so kurz vor der letzten Weihe.
      Er legt den Stein beiseite und sucht hastig
weiter. Endlich findet er den kleinen, sehr hellen Aquamarin, den er einmal im
Augenwinkel getragen hat. Zwar ist er etwas größer als die Diamantsplitter,
aber immer noch besser als dieses fatale Loch.
    Während Hyazinth mit hochgezogener
Oberlippe das Trocknen des Klebers abwartet, überprüft er den Inhalt seines
Perlenmagazins. Das flache, handliche Behältnis müßte auch wieder mal
aufgefüllt werden, stellt er fest. Noch vier Keimperlen für Airspider – das ist
zu wenig. Für Wohnblasen hat er noch genug, aber die gelben Kügelchen für die
Kontaktspiralen gehen ebenfalls zur Neige.
    Nun noch die Filterstopfen. Mit
geübten Bewegungen zupft er sich ein paar Fasern aus dem Gebüsch von
Kiemenkresse, das aus dem Samenkorn neben Wölkchens Bassin gesprossen ist, und
dreht sie zu zwei wattigen Stöpseln zusammen, die er sich in die Nasenlöcher
schiebt. Dann atmet er ein paarmal tief durch, um die Pflänzchen zu aktivieren.
    In der gefilterten Luft seiner
Wohnblase wächst die Kiemenkresse wie ein zartes, spinnwebartiges Gebilde.
Draußen aber, in der inhaltsreichen Atmosphäre der Welt, da werden es Stämme
bis zu fünf Metern Höhe. Gegen Abend sind für gewöhnlich auch die
selbstgefertigten Filterstopfen dank der nährstoffreichen Atmosphäre zu
beachtlicher Größe aufgebauscht, wenn man sich viel an der frischen Luft
bewegt. Kohlendioxid und Stickoxide sind es wohl hauptsächlich, aber auch die
bunte Palette der Schwefelverbindungen verursachen das Wuchern der lebensfrohen
Pflanze, die einst aus einer wilden Mutante gezüchtet wurde.
    Eilig durchschreitet Hyazinth das
mit schillernder Folie verschlossene Türoval, spürt, wie die Membran sich dehnt
und um seinen Körper schließt und springt von der Schwelle in die Tiefe hinab.
Wie der Tropfen eines äußerst zähflüssigen Öls umschließt die Folie ihn, und
dieser Tropfen sinkt nach unten, ohne zu reißen, wird länger und länger.
    Sachte setzt Hyazinth auf dem
Boden auf, und genau in diesem Moment welkt die Membran wie unter großer Hitze
zu knisterndem Pergament, reißt und zerfällt schließlich zu rieselndem Staub.
    Ich muß unbedingt Liftperlen
kaufen, denkt Hyazinth. Nur noch eine dieser Keimperlen befindet sich in seinem
Magazin, und diese eine benötigt er, um die dicht unter den Wolken schwebende
Plattform seiner Fakultät zu erreichen, die etwa auf halber Höhe des Turmbaues
liegt, wenn er nicht durch den Schwebeschacht will.
      Von weitem sieht er Rutila, Tagetes und
Holunder.
    Die stämmige, muskulöse Rutila
Stein und Holunder aus der Baumfamilie – ein lang aufgeschossener Blondschopf
mit einem ausgeprägten Adamsapfel – eilen auf ihn zu, nur Bruder Tagetes hastet
weiter.
    “Frohe Umkehr!” grüßt Hyazinth.
    “Entschuldigt mich, ich muß noch
kaufen!” ruft Tagetes zurück. “Heute sind dreieinhalbtausend Korund fällig… ich
weiß einfach nicht, wie ich das schaffen soll!”
    Als man den halbwüchsigen Mädchen
und Knaben mit der ersten Prägungsweihe je hundert Korund in die Hand drückte
und die Regeln der Vermögensbildung erläuterte, hatten sie geächzt und gestöhnt
vor Überraschung. Alles schien so widersinnig: Sie mußten nur so viel Geld wie
möglich ausgeben, weil ihnen die doppelte Summe dann zur Belohnung
gutgeschrieben wurde. Dabei durfte aber ein gewisses Tagessoll nicht
unterschritten werden, weil es sonst zum dreifachen Abzug des Differenzbetrages
kam…
    Alles schien so märchenhaft
verrückt, daß Hyazinth sich über die Klausel des Bedarfsnachweises damals nicht
den Kopf zerbrach. Eine Weile konnte er einfach alles gebrauchen, und so
richtig wild ging es erst zu, als sich herausstellte, daß Repräsentation als
eine sehr großzügig ausgelegte Bedarfserklärung galt. Opal lächelte zu allem
mit verhaltenem Spott, und eines Tages – allmählich wurde es immer schwieriger,
das Shoppingdebit zu erfüllen – erklärte er den Sinn des Ganzen: “Dem Märtyrer
geht es stets und vor allem darum, dem Leben einen festen Grund zu geben. Ist
der Grund gefestigt, eröffnet sich der rechte Weg”, begann der Masterteacher
mit einem Gedanken des Weisen Kong Qiu. “Der Märtyrer muß maßhalten können und
die Menschen lieben. Dem
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