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Copyworld: Roman (German Edition)

Copyworld: Roman (German Edition)

Titel: Copyworld: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Szameit
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Urmutter über seinen
Körper niederringt. Mond und Sterne stürzen hernieder, ein wilder Strudel
verschlingt die Welt und preßt ihn wie mit eiserner Faust zusammen.
    Derek ächzt vor Schmerz. Rings um
ihn schießen die Eisfichten wie Fontänen empor, in die Leere hinein, die gerade
noch Himmel war.
    Dann schleudert der Strudel die Welt
wieder von sich, bläht sie auf, unendlich. Ein röchelnder Schrei entringt sich
Dereks Brust, ihm ist, als spritze sein Blut aus den Poren...
    Erst einmal in seinem Leben hat
er einen Gestaltwandel gewagt.
    Aja hatte ihm heimlich den
Dreihorntrank bereitet, und Curdin hat ihn jämmerlich verprügelt, als er zwei
Wochen später in den Palast zurückkehrte, abgehetzt und mit einem Pfeil
zwischen den Schulterblättern vor dem Thron zusammenbrach. Die siebenschwänzige
Dreihornpeitsche zuckte wie ein Gewitter auf ihn nieder, aber Derek sehnte sich
noch lange danach, ein zweites Mal mit seinem treuen Gadar die Berge und Fluren
Seemarks zu durchstreifen, inmitten aufschäumender Gischt durch die schmalen
Fjorde zu galoppieren und in kühnem Sprung über die zahllosen Bäche seiner
Heimat zu setzen. Daß er drei Monde lang bei Gadar im Stall schlafen mußte,
empfand er nicht als Strafe. Sein Reittier war ihm lieb geworden wie ein Mensch
in diesen wilden, schönen Tagen, und dieses Gefühl verging nicht mit der
Unbarmherzigkeit der alles verlöschenden Zeit, denn es war mehr als Empfindung,
es war tiefes Wissen geworden.
    Gadar hatte ihm die Schönheit der
Welt gezeigt. Das konnten die höfischen Rituale und klugen Worte seiner Lehrer
nicht aufwiegen. Er hatte auch das erste Mal in seinem Leben die Menschen
kennengelernt, deren Masse man im Palast immer nur Volk nannte, und begriffen,
daß diese Masse aus vielen, vielen Einzelnen und deren Schicksalen bestand. Da
war der hungrige Bauer, der ihm den Pfeil in den Rücken gejagt hatte, und dem
Gadar darauf das Mittelhorn durch die Brust rammte. Und dann war da die Bäuerin
mit ihren acht hohlwangigen Kindern, die immer nur vor sich hin murmelte, daß
ihr Mann bald mit einem Rosenhornhirsch zurückkehren würde und daß dann alle
genug zu essen hätten, trotz des hohen Zins, den Curdin ihnen auferlegt hätte.
Sie hatte ihm das Wasser mit der hohlen Hand eingeflößt, frische Blätter von
den Zweigen gerupft und sicher nicht verstanden, warum er entsetzt davonstob,
als sie von ihrem Mann sprach. Da waren viele, viele andere...
    Jetzt aber liegt Derek auf dem
Berg Attanai und windet sich in Krämpfen. Damals war es anders. Da wollte der
Zauber seinen Körper förmlich auseinanderreißen – heute hingegen fühlt er sich,
als wäre er in eine Saftpresse geraten.
    Der Holl über ihm scheint immer
höher zu steigen, dabei aber auch unaufhörlich zu wachsen. Eigentlich nicht
größer als ein zwölfjähriges Kind, scheint er Derek nun mindestens hundertmal
so groß.
    “Andel...Andel...Andel...” stöhnt
Derek auf. Was wird aus der Geliebten, wenn der Bergholl ihn tötet? Wie konnte
er nur auf die verrückte Idee kommen, sein Leben aufs Spiel zu setzen, nur um
dieses verdammten schwarzen Eies willen! Was kümmern ihn denn die Bauern und
Fischer Seemarks? Was geht es ihn an, wenn Roriks Horden in sein Land einfallen
und das Volk ausplündern, die Männer erschlagen und die Mädchen schänden? Dafür
hat er doch seine Knechte, die guten Sold erhalten, daß sie sich die Knochen
brechen und die Leiber aufschlitzen lassen!
    Was schert ihn Roriks Wetterzauber,
der ganze Länder überschwemmen oder in Steppen verwandeln kann _– der Palast
hat noch nie gehungert in all den tausend Jahren, seit die Urmutter die Welt
erschaffen hat, und wenn das Volk den eigenen Kot fraß.
    Plötzlich ist alles vorbei. Die
Welt scheint stillzustehen, auszuruhen von dem gewaltigen Werk der Wandlung.
Unter den ersten vorsichtigen Tritten seiner Pfötchen splittern tellergroße
Schneekristalle. Derek hält erschrocken inne. Erst allmählich wird ihm bewußt,
daß der Holl dieses feine Geräusch, das nur in Dereks Ohren wie Getöse klingt,
unmöglich hören kann. Alle anderen Gedanken haben keinen Platz mehr in Dereks
winzigem Kopf. Er hebt schnuppernd die Nase und wundert sich einen Augenblick,
wieviele Gerüche es in der Welt gibt.
    Der Herr des Berges Attanai
kreist mit unruhigen Flügelschlägen über den Wipfeln der Eisfichten und saugt
witternd die Luft ein, in der eine Ahnung von Menschengeruch schwebt wie Nebel.
Die winzige Schneemaus, die eilig durchs Unterholz
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