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Coolman und ich. Voll auf die zwölf (German Edition)

Coolman und ich. Voll auf die zwölf (German Edition)

Titel: Coolman und ich. Voll auf die zwölf (German Edition)
Autoren: Rüdiger Bertram
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Sicher ist sicher.
    Das bedeutet, ich habe die nächsten Stunden viel Zeit, und die kann ich genauso gut nutzen, um euch zu erzählen, warum ich hier im Dunkeln hocke.
    Also werfen wir die Zeitmaschine an.

    Zwei Wochen vorher.
    Alles beginnt an einem typischen Kai-Morgen. Stellt euch einen perfekten Start in den Tag vor. Und dann nehmt genau das Gegenteil davon, und ihr wisst, wie meine frühen Morgenstunden aussehen.
    Geweckt werde ich von dröhnenden Bässen. Statt eines Radioweckers wie jeder normale Mensch hat meine Schwester Anti ihre Stereoanlage an eine Zeitschaltuhr angeschlossen.
    Ich liege im Bett und warte darauf, dass mein Vater oder meine Mutter schimpfend in ihr Zimmer stürmen oder gleich die Sicherung rausdrehen.
    Tun sie aber nicht.
    Können sie auch nicht.
    Sie sind nämlich gar nicht da.
    Die beiden sind Schauspieler hier am Stadttheater von Keinklagenstadt und derzeit mit ihrem Erfolgsstück »Romeo und Julia« zwei Wochen auf Tournee durch die ganze Republik.
    Weil es vor langer, langer Zeit mal eine ... wie soll ich sagen ... etwas ausufernde Party in Abwesenheit unserer Eltern gab, haben sie für die zwei Wochen eine Aufpasserin engagiert. Frau Schneider-Degenscharf wohnt während der Zeit bei uns. Sie ist weit über sechzig, ausgebildete Erzieherin und Köchin und hat außerdem zehn Jahre lang als Löwen-Dompteuse im Zirkus gearbeitet. Das mit den Löwen glaube ich ihr allerdings nicht, obwohl es in ihrer Bewerbung stand und es auch ein Foto gibt, das zehn Raubkatzen zeigt, die unterwürfig auf allen vieren vor Frau Schneider-Degenscharf durch den Sand der Manege kriechen.

    Man muss nicht alles glauben, was COOLMAN erzählt. Aber mit dieser haarsträubenden Geschichte hat er es endgültig geschafft, dass ich wach bin und nicht mehr einschlafen kann. Dabei habe ich erst zur zweiten Stunde Schule, und ein bisschen Schlaf könnte ich noch gut gebrauchen. Ich habe die halbe Nacht kein Auge zugemacht, aus lauter Sorge vor der Erdkundearbeit, die wir in der zweiten Stunde bei meiner Klassenlehrerin Frau Maier schreiben.
    Ich wälze mich aus dem Bett und schlurfe schlaftrunken ins Badezimmer. Dazu muss ich an Antis Zimmer vorbei. Die Musik ist jetzt aus, und das bedeutet, dass sie schon unten beim Frühstück ist. Frau Schneider-Degenscharf kommt immer erst um Punkt 7:30 Uhr, und wahrscheinlich will Anti aus dem Haus sein, wenn der Alligator auftaucht. »Alligator« ist der Name, den meine Schwester unserer Aufpasserin gegeben hat, weil sie stundenlang reglos dasitzen kann, um dann plötzlich und völlig unerwartet zuzuschlagen.
    Aus dem Badezimmerspiegel starrt mich ein fremder Junge an. Mein ganzes Gesicht ist mit tiefen Falten überzogen, die mein Kissen dort hinterlassen hat. Außerdem entdecke ich genau auf der Spitze meiner Nase einen Pickel. Er ist schon ganz gelb, aber ich traue mich nicht, ihn auszudrücken. Ich habe mal gelesen, dass sich das übel entzünden kann. Statistisch gesehen sterben wahrscheinlich mehr Menschen an falsch ausgedrückten Pickeln als durch Krokodilattacken. Ich lasse den Pickel einfach Pickel sein und greife nach meiner Zahnbürste.

    Allein bei der Vorstellung wird mir schlecht. Deswegen verkürze ich heute das Zähneputzen und schreibe mit Antis schwarzem Lippenstift eine Erinnerungsnotiz auf den Spiegel.
    »Heute Abend neue Zahnbürste nehmen!«
    Danach ziehe ich mich an und gehe runter in die Küche. Anti sitzt schon am Frühstückstisch und liest die Todesanzeigen in der Tageszeitung. Das macht sie jeden Morgen, und dazu muss sie sich ihre langen Haare aus dem Gesicht streichen, um überhaupt etwas sehen zu können. Ihre Haare sind genauso schwarz wie ihre Klamotten und ihre lackierten Fingernägel. Schwarz ist Antis Lieblingsfarbe, und das gibt genau wie ihr Name ganz gut wieder, wie sie die Welt sieht. Eigentlich heißt sie nämlich Antigone. Meine Eltern haben sie nach einer uralten, griechischen Theaterfigur genannt. Aber die Kurzform Anti passt einfach viel besser zu ihr.
    Statt mir einen guten Morgen zu wünschen, brummt Anti »Kaffee!« und hält mir, ohne aufzublicken, ihre leere Tasse entgegen. Weil ich so früh am Morgen auch keine große Lust auf lange Gespräche habe, nehme ich wortlos die Kanne der Kaffeemaschine und schenke ihr ein.
    Milch und Zucker kann ich mir sparen.
    Anti trinkt ihren Kaffee schwarz. Wie sonst?
    Nach dem ersten Schluck sieht sie mich das erste Mal an.
    »Du hast da einen Pickel auf der Nase.«
    »Echt?«, erwidere ich
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