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Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)

Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)

Titel: Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
Autoren: Jean Bagnol
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zierliche, prüfend über den Rand ihrer roten Lesebrille hinwegschauende Seniorin. Zadira war das Humpeln der Frau aufgefallen, auch lehnte neben der Haustür ein Stock, den Madame Roche wahrscheinlich benutzte, wenn sie das Haus verließ.
    »Also«, setzte Zadira an, »Sie hatten dem Kollegen Brell …«
    »Genau, dem dicken Lucien. Er sieht aus wie ein Fleischberg!«
    »Pardon?«
    »Der war schon in der Schule zu dick. Lucien, habe ich zu ihm gesagt, du musst die Finger von den Galettes und den Berlingots lassen. Waren Sie schon in seinem Weinladen? Lucien liefert für Hochzeiten aus. Neulich, da hat die Claire vom Reiterhof den italienischen Mechaniker geheiratet, na, sie mussten, weil da was Kleines unterwegs war, aber ob die Claire das überhaupt von ihrem Autodoktor hat, weiß man nicht, sie war nie eine, die …«
    So ging es, seitdem Madame Éloise Roche Zadira begrüßt hatte. Als ihr die pensionierte Lehrerin die Tür öffnete, hatte sie zunächst genauso reagiert, wie Zadira es schon gewohnt war: Irritation über die Mischung von dunklem Teint und hellen Augen, von Frau und Fremdheit. Aber die darauffolgende Reaktion war eine Überraschung gewesen. Madame Roche hatte an ihr hinabgeschaut und gerufen: » Mon Dieu, ma petite, Sie sind ja viel zu dünn!« Ohne weitere Umstände war Zadira an den Küchentisch verfrachtet und seither permanent mit zuckerhaltiger Nahrung und Klatsch versorgt worden.
    »… mit Luciens Mutter, die übrigens aus Saint-Didier …«
    In diesem Moment schlurfte ein Halbstarker in die Küche.
    »… ach, und das ist mein Großneffe Victor. Er ist für die Sommerferien da, aus Paris. Sag guten Tag, Victor.«
    »Tag. Tante É., hast du ein bisschen Kleingeld für mich? Ich wollte mit Raffa skypen und ’ne Pitss Hawaii reinziehen …«
    Zadira nahm den zarten Geruch von Marihuana an Victor war. Er verstummte, und Zadira sah, wie seine trägen, blauen Teenager-Augen sich beim Anblick ihrer Waffe am Gürtel weiteten. Zadira schenkte ihm daraufhin ihr schönstes Polizistinnen-Lächeln. Victor war so fix verschwunden, dass er fast schon kleine Luftwirbel im Raum hinterließ. Zadira grinste verhalten, als sie ihn oben im ersten Stock hektisch herumräumen hörte. Dachte der ernsthaft, sie war wegen ihm hier?
    »Madame Roche«, versuchte sie es noch einmal, »Sie hatten Sergeant Brell eine Entführung gemeldet.«
    »Ja, genau. Sie wären ja wohl kaum gekommen, Madame la Commissaire, wenn ich nur gesagt hätte: ›Lucien, schick mir deine Chefin doch mal zum Éclair und Café au lait vorbei‹. Ich rufe ihn jeden Tag an, um ihn ein bisschen auf Trab zu halten.«
    »Lieutenant ist völlig ausreichend. Und ich bin auch nicht Lucien Brells Chefin.«
    »Wieso ist er dann so schlecht gelaunt, seitdem Sie hier sind?«
    Aus Tradition, wollte Zadira sagen. Police Nationale und Gendarmerie waren ein zwangsverheiratetes Ehepaar. Die Gendarmen hielten sich für abgebrühte Soldaten im wahren Krieg gegen Wildangler, Falschparker und Raser, und sahen auf die vergeistigten Nationalpolizisten hinab. Diese wiederum hielten die Gendarmen für tumbe Verkehrserzieher, für campagnards, Bauerntrottel, während sie die coolen, hippen Jungs waren, die in die psychischen Tiefen des Verbrechens eintauchten wie in Crème brûlée. Jede Zusammenarbeit war ein einziges Gerangel um Kompetenzen und Pöstchen.
    Zadira stellte fest, dass sie diese Längenvergleiche verachtete. Aber vielleicht hatte sie mit dem dicken Lucien ja Glück? Immerhin hatte er ihr ein Berlingot angeboten. Und einen eigenen Tisch in Aussicht gestellt. Der Anfang einer Völkerverständigung.
    » Bon. Vielleicht ist ›Entführung‹ ein wenig zu dramatisch«, gab Madame Roche zu. »Aber ich frage mich, wo mein Schätzchen steckt.« Éloise Roche kam in Fahrt. Sie schwärmte von Zutraulichkeit, Anmut und Charme. Doch spätestens als sie bei dichtem, weichem Fell, dem roten Halsband mit Glöckchen und den neugierigen Tatzen angekommen war, mit denen das »Schätzchen« die weite Welt erkundete, war Zadira Matéo klar, dass es sich zwar um das edelste Wesen von ganz Mazan handelte, aber vor allem um ein Kätzchen namens Tin-Tin.
    »Und Sie wollen, dass ich Ihren Tin-Tin suche?«, fasste Zadira die Katzen-Eloge zusammen.
    Madame Roche strahlte Zadira an. »Genau! Lucien kann sich ja nicht mal mehr richtig bücken.« Da beugte sich die ehemalige Lehrerin abrupt vor: »Sie müssen mich für eine seltsame alte Schrulle halten.«
    »Stimmt.«
    Éloise Roche
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