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Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Titel: Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
Autoren: Yasmina Khadra
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anderen verlassen
    Verwandte und Bekannte das Haus, auf leisen Soh-
    len, ein wenig verschämt, den Künstler in seinem
    Kummer allein zu lassen. Ehe Mohand sich als
    letzter zum Gehen anschickt, schaut er sich das
    zerknitterte Foto des Verblichenen, das an der
    Wand hängt, aus der Nähe an. Seine Mundwinkel
    zucken, vermutlich um seine aufsteigende Wut zu
    unterdrücken.
    Er wiegt den Kopf, bemerkt: „War ein zawali* [*
    armer Kerl] , einer der Stillen im Lande, der sich mehr um das Wohlergehen seiner Schafe als um
    die eigene Krebskrankheit sorgte. Ich bin sicher, er fand es noch nicht einmal der Mühe wert, sich gegen seine Mörder zur Wehr zu setzen.“
    Ich betrachte mit ihm zusammen Idirs Porträt. Er
    war ein eingefleischter Junggeselle, dem nichts
    über seine Unabhängigkeit ging. Lebte wie ein in
    sich versponnener Einsiedler, der sein Glück in der heiteren Stille der Waldwiesen fand. Jetzt, da er tot ist, frage ich mich, ob er jemals wirklich existiert hat.
    Mohand schaut auf seine Armbanduhr. „Zeit für
    die Patrouille. Meine Männer sind bestimmt schon
    unruhig … Seid Ihr sicher, daß Ihr hierbleiben

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    wollt?“
    „Gute Nacht!“ rufe ich ihm zu und ziehe mir de-
    monstrativ die Schuhe aus.
    „Gut, dann gehe ich jetzt. Ich werde drei oder
    vier Männer in der Nähe postieren, für den Fall,
    daß es diesen Irren einfallen sollte, an den Ort ihres Verbrechens zurückzukehren.“
    Ich zeige auf meine dicke Knarre. „Wir sind ge-
    wappnet.“
    Mohand nickt und zieht sich zurück, nicht ohne
    sorgfältig die Tür hinter sich zu schließen.
    „Versuch zu schlafen“, brumme ich Arezki zu
    und mache mich auf einer Strohmatte lang. Ich
    rücke das Kopfkissen gegen die Wand, lasse meine
    Faust einmal drauf niedersausen, damit es sich be-
    quemer liegt, schiebe meine 9mm-Pistole darunter
    und verschränke die Hände im Nacken, so daß ich
    Arezki im Blickfeld habe.
    Der Bürgermeister hat uns eingeladen, die Nacht
    in seinen Räumlichkeiten zu verbringen, aber A-
    rezki wollte unbedingt im ärmlichen Loch seines
    Bruders bleiben, zwischen den vorsintflutlichen
    Möbeln, die in ihrer schlichten Archaik das Herz
    anrühren, und den nicht greifbaren Erinnerungen.
    „Soll ich dir vielleicht noch ein Wiegenlied sin-
    gen?“
    Arezki blickt mich strafend an. „Du hast aber
    auch vor nichts Respekt.“
    „Hör auf mit dem Gejammer! Idir schläft längst.
    Versuch, es ihm nachzutun. Morgen fahren wir in
    18
    aller Früh zurück. Ich habe nicht die Absicht, einen Kran anzuheuern, um dir auf die Beine zu helfen.“
    Arezki ist außer sich. „Ich fahre nicht mit.“
    „Aber sicher fährst du mit.“
    „Mein Platz ist hier.“
    „Sei so gut und mach endlich das Licht aus. Die-
    se unmögliche Glühbirne geht mir auf den Geist.“
    Er löscht das Licht.
    Ich ziehe mir die Decke übers Gesicht und die
    Knie bis zur Nasenspitze hoch, dann rühre ich
    mich nicht mehr.
    Nichts hilft besser als die Dunkelheit, einem
    Mann die Last von der Seele zu nehmen.

    2

    „Schon zurück, Kommy?“ Lino setzt die Sonnen-
    brille ab, sieht mich an und macht dabei ein Ge-
    sicht wie eine Springmaus, die in ihrem Bau unver-
    sehens eine Schlange entdeckt.
    „Hast wohl gehofft, ich würde für immer in der
    Pampa verschwinden?“
    „Ich dachte, du bleibst noch ein paar Tage, um
    aufzutanken.“
    „Gib schon zu, daß du auf den Geschmack ge-
    kommen bist!“
    Lino stößt die Tür mit dem Absatz zu und läßt
    sich auf den Stuhl gegenüber meinem Schreibtisch

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    fallen. Er wischt sich die Brille am Hemd ab und
    setzt sie wieder auf.
    „Und, wie läuft es so in der Heimat?“
    „So wie überall.“
    „Und dein Freund, der Künstler?“
    „War ein schwerer Schlag für ihn. Ich mußte ihn
    in der Zwangsjacke nach Algier zurückschleifen.
    Im Dorf hätte er eine prima Schießscheibe abgege-
    ben.“
    „Und unterwegs ist nichts passiert?“
    „Wir hatten bloß Glück. Nächstes Mal fordere
    ich Geleitschutz an.“
    „Aha.“ Lino mustert eingehend seine Fingernä-
    gel, die Augenlider halb geschlossen. Sein Mangel
    an Enthusiasmus läßt in mir alle Alarmglocken
    läuten. Ich verstehe, daß während meiner Abwe-
    senheit irgend etwas passiert sein muß.
    Ich schiebe das Telefon beiseite, um den auswei-
    chenden Blick des Leutnants einzufangen. Er wen-
    det sich ab und tut so, als interessiere er sich brennend für die Dienstanweisungen, mit denen die
    Wand tapeziert ist.
    „Schieß schon los!“ ermuntere ich ihn.
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