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Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Titel: Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
Autoren: Yasmina Khadra
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„Ich bin
    immun.“
    Er verzieht nur den Mund. Fünf Sekunden lang
    knetet er seine Finger durch, unfähig, sich zu ent-
    scheiden, ob er die Katze am Schwanz oder am
    Schopf packen oder besser gar nicht erst aus dem
    Sack lassen soll.
    „Ich war doch nur zwei Tage weg“, schimpfe ich.
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    „Du willst mir doch wohl nicht weismachen, ich
    hätte den Höhepunkt meiner Laufbahn in so kurzer
    Zeit verpaßt!“
    Er mobilisiert alle seine Kräfte, um mir schließ-
    lich mit schwankender Stimme zu antworten: „Du
    bist nicht auf dem laufenden?“
    „Kommt darauf an.“
    „Im Sekretariat vom Chef liegt ein Umschlag für
    dich.“
    „Wenn man dich so hört, könnte man meinen, es
    handle sich um meinen Totenschein.“
    „Ziemlich gut getroffen.“
    Ich spüre, wie meine Innereien sich unentwirrbar
    verknoten.
    Lino fährt fort, seine Finger zu traktieren. Seine
    Backenknochen hüpfen auf und ab, seine Lippen
    haben sich olivgrün verfärbt und beben verdächtig.
    Da klingelt plötzlich das Telefon und versetzt mich auf der Stelle in eine Art Starrkrampf. Als ich ab-hebe, spüre ich, wie meine Hand zittert.
    Am Ende der Leitung näselt die Stimme des Di-
    rex und gibt mir den Rest. „Brahim?“
    „Ja, Herr Direktor.“
    „Hast du eine Minute Zeit?“
    „Sofort, Herr Direktor.“
    Zwei Anläufe brauche ich, bis der Hörer wieder
    ordentlich auf der Gabel liegt.
    Peinlich berührt von meiner Beklommenheit,
    macht sich Lino daran, seine 08/15-Brille auf
    Schönheitsfehler hin abzusuchen.

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    „Es geht ja schon los …“, stammle ich.
    „Ich fürchte ja“, nickt er betrübt.
    Ich schnappe meine Jacke und sause über den
    Korridor. Die Belegschaft weicht vor mir zurück
    wie vor einem Leichenzug. Ich brauche mich nicht
    umzudrehen, um zu wissen, daß sich alle hinter mir
    bekreuzigen.
    Ab dem zweiten Stock lassen mich meine Beine
    im Stich. Ich muß mich am Geländer hochziehen.
    Dabei war ich doch schon immer aufs Schlimmste
    gefaßt. Und jetzt, wo es passiert ist – die blanke
    Panik.
    Abgemagert ist er, der Direktor. Vor drei Tagen
    hatte er noch blendend ausgesehen. Woraus ich
    schließe, daß er eine kräftige Abreibung hinter sich hat. Seine bleiche Miene verstärkt mein Unbeha-gen.
    Schon von weitem weist er mir mit schlaffem
    Gestus einen Sessel zu. Mit trockener Kehle und
    rauchenden Ohren nehme ich Platz.
    „Da hast du dich mächtig in die Nesseln gesetzt,
    Brahim!“ kanzelt er mich oberlehrerhaft ab. „Und
    ich kenne kein Mittel, das gegen diese Brandblasen
    hilft.“
    Ich versuche, die Stirn zu runzeln – vergeblich.
    Meine Stimmbänder drohen, beim geringsten Laut
    zu zerreißen. Also verschränke ich nur still die
    Hände und warte ab, daß das Unwetter über mich
    hereinbricht.
    Der Direktor greift nach einem Blatt, schleudert
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    es mir ins Gesicht. Ich fange es ab und überfliege
    es hastig, ohne den Inhalt recht zu begreifen.
    „Vorladung zum Großen Manitu“, klärt er mich
    auf. „Es spricht alles dafür, daß du dort sämtliche Federn lassen wirst.“
    Ich schlucke krampfhaft.
    Er fügt vorwurfsvoll hinzu: „Du bist stur wie ein
    Maulesel, Kommissar. Ich habe dich oft genug
    gewarnt.“
    „War es das?“
    „Reicht dir das nicht?“
    Ich lege das Papier auf den Schreibtisch zurück
    und stehe auf. Er steht ebenfalls auf, bringt mich
    zur Tür. Dort faßt er mich bei der Schulter und
    vertraut mir an: „Ich weiß zwar nicht, wie weit
    mein Einfluß reicht, aber ich möchte, daß du weißt, daß ich meine Leute nicht so einfach fallenlasse.“
    Ich nicke und entferne mich im Gefühl, einen
    Weg mit ungewissem Ausgang anzutreten, auf dem
    ich mich auf Schritt und Tritt ein Stückchen mehr
    auflöse.

    3

    Sobald man sich in Algier hinter seinem Schreib-
    tisch hervor- oder aus seinem Loch herauswagt, ist
    man in Feindesland. Man versuche bloß nicht,
    beim Taxifahrer auf Mitleid zu machen, dem

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    Schalterbeamten ein freundliches Wort zu entlo-
    cken, das Mitgefühl des Pförtners zu wecken – es
    ist schon ein Wunder, wenn er einen überhaupt zur
    Kenntnis nimmt. Wo immer man sich mit seinem
    Weltschmerz blicken läßt, man fühlt sich wie ein
    Aussätziger. Nirgendwo zeigt sich Entgegenkom-
    men. Nirgends wird einem ein aufmunterndes Lä-
    cheln zuteil. Stattdessen wird man überall kurz
    abgefertigt, abgewürgt und angeschnauzt, daß ei-
    nem alsbald das Herz in die Hose sinkt und man
    sich mit der Zeit daran gewöhnt, seine Würde an
    der Garderobe abzugeben und seinen Stolz
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