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Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)

Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)

Titel: Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)
Autoren: Dante Alighieri , Kurt Flasch
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›Erwartungshaltung‹ sagen, wo doch ›Erwartung‹ genügt, aber es gibt schöne, sinnvolle Zusammensetzungen wie ›Haustür‹, ›Mondnacht‹, ›Rosenmontag‹ oder ›Morgenröte‹. Hier ist Unterscheiden nötig, aber dann ist das zusammengesetzte Substantiv eine Chance des deutschen Übersetzers Dantes.
    Kurz: Für das Studium der Quellensprache nehme ich mir Zeit und suche Beratung, für die Zielsprache braucht es lebenslange, ununterbrochene Aufmerksamkeit auf das gesamte Vokabular, auf grammatische und syntaktische Verschiebungen und damit auf die kulturelle, soziale und politische Geschichte Deutschlands.

    Frage: Umberto Eco behauptet, jede Übersetzung lenke zu einer bestimmten Lesart des Textes, sie wende ihre Aufmerksamkeit bestimmten Seiten des Originals zu. [940]   Sie interpretiert. Welche Seiten der ›Commedia‹ hebt deine Übersetzung hervor?
    Antwort: Dantes Werk ist in sich zu vielförmig, als daß es nur eine Seite sein dürfte. Aber ich nenne in grober Zeichnung vier Eigenarten, um die es mir vor allem geht: Erstens: Die Rationalität, der klare Charakter, Verzicht auf Dunkelheit, wo sie nicht die Dunkelheit Dantes selbst ist. JEDER SATZ DANTES IST ERKLÄRBAR. Auch wenn er de facto nicht erklärt wird, um Übersetzung vom Kommentar getrennt zu halten, soll er als erklärbar klingen.
    Zweitens: Ich hole neben der rationalen Konstruktion und dem ungewöhnlichen Vernunftvertrauen die entgegengesetzte Seite hervor: die Phantastik, die Verrücktheit, den Übermut, die rasch wechselnde, bizarre Erfindung, Traum und Albtraum. Anachronistisch ausgedrückt: Der Kafka-Stil. Die horror picture-Show. Phantastische Verwandlungen, Tänze der Weisen, Ballette der Märtyrer. Lichtspiele wie in einer Diskothek.
    Drittens: Das Politische, das in einigen neuen Auslegungen zu sehr zurücktritt. Der Charakter der Invektive, des Pamphlets, des Aufrufs.
    Viertens: Ich nehme die Commedia als Werk der Zeit kurz nach 1300 und vermeide deswegen ihre Archaisierung. Nebenbei hoffe ich, einige Versehen zu korrigieren, die sich ergaben, weil andere Übersetzer etwas weniger vertraut waren mit der intellektuellen Entwicklung und der philosophischen Terminologie der Zeit.

    Frage: Beziehst du dich bei der Arbeit auf frühere Übersetzungen?
    Antwort: Zunächst bin ich allein mit Dante. In einem zweiten Arbeitsstadium sehr intensiv. Zwar gibt es keine ›klassische‹ Übersetzung wie Schlegel für Shakespeare oder – in entgegengesetzter Art – Voß für Homer. Insofern ist die Bahn frei. Ich ignoriere nach Stichproben die bürgerlich-glatten Übersetzungen wie die von Gildemeister. Ich verstehe die Gründe, die Stefan George und Rudolf Borchardt zu ihrer abweichenden Form geführt haben. Sie wagten eine neue Sprache; Borchardt konsequenter als George. Meine Beschäftigung – nicht die mit Dante, wohl aber mit deutschen Übersetzungen – begann mit der von Borchardt. Sie ist gereimt und wie die ›bürgerlichen‹ im Elfsilben-Takt, aber sie simuliert mittelhochdeutschen Wortschatz und mittelhochdeutsche Syntax. Sie ist ein Protest gegen die deutsche Sprachgeschichte, besonders gegen die Dominanz der Lutherbibel-Sprache und die Verdrängung süddeutscher Sprachelemente. Borchardt fing damit wohl vor dem Ersten Weltkrieg an, aber die Hauptarbeit lag in den Jahren 1923 bis 1930. Die deutsche Sprache, dachte Borchardt, kann die Commedia nicht mehr aufnehmen, sie ist verbraucht und verdorben. Er versuchte, sie in Anlehnung an mittelhochdeutsche Texte und Schweizer Dialektformen neu zu erfinden. Sein Plan, groß und gelehrt gedacht, der Bibel-Übersetzung von Martin Buber vergleichbar, ist gescheitert. Das war mein Ausgangspunkt. Mit ›gescheitert‹ meine ich nicht, daß sie nur eine, allerdings schön gedruckte Auflage erlebte, sondern daß es unmöglich scheint, dass ein Einzelner eine Sprache in deren spätem Entwicklungszustand erfinden könnte. Neue Übersetzer mußten zurückrudern zur vorhandenen Syntax, zum gegebenen Wortschatz. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde kein vergleichbarer Versuch gemacht. Nur Georg Peter Landmanns Prosaübersetzung von 1997 versuchte eine vorsichtige sprachliche Neuerung im Anschluß an Stefan George. Den Reim gab er ganz auf, nicht die altertümelnde Patina. Ich konnte weder mit Borchardts Paukenschlag fortfahren noch mit Landmanns feinsinnigem Kompromiß. Ich komme mit reduzierten Formen aus: schlichte, aber konsequent nicht-technokratische Prosa. Freie Rhythmen geben ihr einen
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