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Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)

Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)

Titel: Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)
Autoren: Dante Alighieri , Kurt Flasch
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übersetzen (Conv. 1, 7):
E però sappia ciascuno che nulla cosa per legame musaico armonizzata si può de la sua loquela in altra transmutare sanza rompere tutta sua dolcezza e armonia.
    Dichtung ist durch musikalische Regeln geformtes Sprechen. Diese Geformtheit läßt sich nicht in eine andere Sprache übertragen. Wer es dennoch versucht, zerstört die dolcezza und armonia des Dichtwerks. Dante hat in De vulgari eloquentia 2, 4, 2 definiert, was er unter Dichtung versteht: Sie ist nichts anderes als eine fictio , ausgezeichnet durch und gebildet mit Rhetorik und Musik. Musik heißt hier soviel wie: Metrum, regelmäßige Zahlenhaftigkeit. ›Rhetorik‹ bedeutet grammatische Korrektheit, Erfindungsreichtum an Wendungen, Argumenten und Bildern, nicht zuletzt: Bezug aufs jeweilige Publikum. Der Dichter gibt ihr durch ›Musik‹ Annehmlichkeit oder dolcezza . Und diese Einheit von fictio , Rhetorik und Musik läßt sich nicht übersetzen. Vielleicht gelingen gelegentlich Nachdichtungen, Neudichtungen. Das Rhetorische, den epischen Stoff und seine Erzählweise, die intellektuelle Aussage und die Abfolge der Argumentation, das kann die deutsche Übersetzung erfassen; das Lyrische, Musikalische zerstört sie.

    Frage: Ist dir beim Übersetzen die Ausgangssprache oder die Zielsprache wichtiger?
    Antwort: Ich kann diese Alternative nicht anerkennen. Dennoch sagt mir die Frage etwas. Die Commedia ist ein so unverwechselbares, so festumrissenes Werk, daß ich nicht Dante so reden lassen kann, als wäre er ein deutscher Zeitgenosse. Ich versuche daher, seine Sprache zu lernen und sie in ihrer historischen Eigenart zu erfassen, soweit das einem gelingen kann, der nicht historischer Linguist von Beruf ist. Die Quellensprache ist mir in einem anderen Sinn wichtig als die Zielsprache: Die Ausgangssprache muß ich so genau auffassen, wie es mir mit allen modernen Hilfsmitteln (Wörterbücher, Kommentare etc.) möglich ist. Dabei ist die verschiedene Tonart der drei Teile der Commedia , aber auch die cantica-interne Vielfalt der Sprachebenen aufzufassen: Dante spricht nicht immer erhaben, theologisch oder philosophisch, er spricht auch ›niedrig‹ und abstoßend. Nicht immer im glatten Fluß, sondern auch stotternd. Dies macht meine Zuwendung zur Ausgangssprache aufmerksamer, unsicherer und reizvoller.
    Die Zielsprache muß ich erst in mir bilden im ständigen Blick auf die Entwicklung dieser Sprache. Ich nenne dafür drei Beispiele:
    Erstens: Ich versuche, veraltete Ausdrücke als solche zu erkennen und zu vermeiden. Beispiele ›Pilgrim‹, ›Wölflein‹ für junge Wölfe oder Welpen, ›darob‹ oder ›ob‹ in der Bedeutung von ›wegen‹. Welches Wort als ›veraltet‹ empfunden wird, hängt von Region und Geburtsdatum, von Lektüren und Stilentscheidungen ab, gewiß, hier ist der individuelle Koeffizient unvermeidlich und unersetzlich. Das ist einer der Gründe, warum es von einem klassischen Werk mehrere Übersetzungen gibt.
    Zweitens: Die deutsche Sprache der Gegenwart vernachlässigt das Futur zugunsten des Präsens. Sie unterscheidet sich darin von Dante, aber auch vom heutigen Italienisch und Französisch. Andere Sprachen sind auch heute noch im Gebrauch der Zukunftsform genau. Im Deutschen sagt der Nachrichtensprecher am frühen Morgen: ›Heute entscheidet der Bundestag über …‹ Er gebraucht das Präsens, wo es um einen Vorgang in der Zukunft geht. Da ich diese Entwicklung nicht zurückdrehen kann, folge ich ihr bis zu einem gewissen Grad, den genau zu bestimmen eine Frage des sprachlichen Takts ist. Ich vermeide nicht grundsätzlich das Futur, akzeptiere aber eine gewisse Zurücknahme seines Gebrauchs. Der Ansager am Hauptbahnhof sagt nicht mehr, wie heute noch sein italienischer Kollege: ›Der Zug wird 20 Minuten später ankommen‹. Er sagt: ›Er trifft zwanzig Minuten später ein‹.
    Dritte Beobachtung am Deutschen als Zielsprache: Es weist Fremdwörter weniger scharf ab, als das teilweise in früheren Jahrzehnten, nicht in allen, üblich war. Ich vermeide Wörter der Fachsprache; ich muß also die gegenwärtige Sprache in ihrer Veränderung durch Fachsprachen vor Augen haben, um deren Einfluß fernzuhalten, aber doch eingebürgerte Fremdwörter aufzunehmen. Ich könnte in der Dante-Übersetzung den Satz dulden: ›Er hat intensiv gesucht.‹
    Eine vierte Besonderheit des Deutschen sind zusammengesetzte Substantive. Ich halte die Wortungetüme der Bürokraten und der Politiker fern; ich würde nie
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