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Coltan

Coltan

Titel: Coltan
Autoren: Ivo Andress
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nachdachte, hatten sich meine Hände
selbständig gemacht und auf einmal hielt ich ihren Kaffeepott an meinen Lippen.
Ein Lächeln, nein, ein breites Grinsen zog über ihr Gesicht: „Spielen wir jetzt
Schneewittchen oder sind das die ersten Zeichen des Alters? Senilkonfus?“
    Besser hätte sie es nicht zusammenfassen
können. Ich war so mit mir beschäftigt, dass ich nicht klar denken konnte.
Dabei ging es doch nicht um mich. Lily war tot und ich zerfloss in Selbstmitleid,
statt ihren Mörder zu jagen.
    Mader hatte viel von dem, was ich mir unter
„nordisch nobel“ vorstelle, unter „sanftmütiger Güte“, wie es in einem Lied hieß.
Strohblond mit etwas höheren Wangenknochen und einem kleinen Höcker auf der
schmalen Nase, hatte die Natur sie mit all dem ausgestattet, was Männer
fasziniert innehalten und zu hemmungslos werbenden Pfauen werden lässt, die
wild mit den Flügeln schlagend, um das Objekt ihrer Begierde stolzieren.
    Als sie in unsere Abteilung kam, mit frischem
Abschluss und hellblauen Augen, wartete ich gerade sehnsüchtig auf Nachrichten
von Lily, darauf, dass sie wieder nach Berlin käme. Frauen, die wie Anfang
zwanzig wirkten, kamen mir wie Kinder vor und jede Form von Pädophilie war mir
fremd. Julia Mader war für mich keine Frau, sondern ein Mädchen, das es
zufällig an den gegenüberliegenden Schreibtisch verschlagen hatte. Auch die
Tatsache, dass sie unbestreitbar intelligenter als die meisten männlichen Kollegen
war, änderte daran nichts.
    Darüber hinaus wusste ich allerdings nur wenig
von ihr. Ob sie einen Freund hatte, keine Ahnung. Sie kam, wir zogen unsere
Fälle durch und uns danach zurück, ohne je ein Wort darüber zu verlieren.
    „ Betäubt “ – mit diesem Wort hatte sie
sich jedenfalls mitten in mein Innerstes katapultiert, ohne es zu wissen. Endlich
eine plausible These, die es uns ermöglichte, langsam alles aufzurollen, den
Apparat in Gang, Menschen unter Druck zu setzen, das Intimste öffentlich zu machen.
Der Gerechtigkeit wegen.
    Wir würden einen Fall haben, wenn es ein
Betäubungsmittel gab, wenn. Dennoch zog ich skeptisch die Stirn in Falten. Wer weiß,
was ihr noch so einfällt?
    Doch sie ließ sich nicht einschüchtern und
wippte siegessicher mit ihrem Stuhl: „Gesetzt den Fall, sie wurde betäubt, dann
haben wir einen planvoll handelnden Täter. Aber das könnte auch heißen, er hat
nicht irgendwas genommen. Der kennt sich aus, hat Erfahrungen damit. Könnte also
schwierig werden.“
    Ich sah sie verständnislos an, Toxikologie war
nie mein Steckenpferd gewesen. Und wenn Schneiderhannes mir was in die Hand
drückte, beschränkte ich mich auf das Lesen der Zusammenfassung.
    „Soll heißen?“
    „Ganz einfach.“ Sie beugte sich nach vorne: „Wenn
man sich schon die Mühe macht, das Ganze ordentlich vorzubereiten, dann doch
nur, weil man keine Spuren hinterlassen will. Also nimmt man nicht irgendwas,
sondern schaut, was sich später schwer nachweisen lässt. Also weder Arsen noch
Rattengift. Aber GHB zum Beispiel.“
    „GHB“, murmelte ich und sah sie fragend an.
    „Gammahydroxybuttersäure, GHB, Liquid Ecstasy
oder einfach KO-Tropfen. Würde ich jedenfalls nehmen.“
    „Ich dachte, man kann heute quasi alles
nachweisen?“
    Mader zog den Zettel wieder über den Tisch.
    „Sie ist irgendwann zwischen Mitternacht und ein
Uhr ertrunken. Gegen acht Uhr hat der Junge sie aus dem Wasser gezogen und uns
angerufen. Gegen zehn Uhr war sie in der Rechtsmedizin, und wenn der penible
Professor Ferdinand schnell war, hat er die Proben spätestens um elf Uhr
genommen.“
    „Und weiter?“, ich wurde unruhig und ahnte,
dass jetzt ein Vortrag über Halbwertzeiten und Nachweisgrenzen folgen würde.
    „Die Halbwertzeit beträgt maximal eine
dreiviertel Stunde, von da an geht es rapide bergab.“
    Sie rechnete etwas auf ihrem Zettel. „Blut
kannst du vergessen, aber bei Urin hat man bis zu zwölf Stunden Zeit,
vorausgesetzt, Schneiderhannes hat ordentlich gearbeitet. Der Nachweis selbst dauert
nicht länger als eine halbe Stunde. Kann er eigentlich selbst machen, ja, warum
hat er das nicht schon längst erledigt? Ist doch sonst immer so ein Pedant?“
    „Was heißt, kann er selber machen?“
    „Herr Professor Doktor Ferdinand
Schneiderhannes hat sich unlängst ein paar schöne neue Spielzeuge bewilligt:
Headspace-Festphasenmikroextraktion und Gaschromatographie-Massenspektrometer.
Wird auch in der Charité eingesetzt, vor allem zur Love-Parade. Nach einer
halben
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