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Coltan

Coltan

Titel: Coltan
Autoren: Ivo Andress
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Stunde hast Du die Cocktailkarte von jedem Junkie, der es nicht mehr
allein nach Hause geschafft hat.“
    Nicht, dass sie eitel war, aber sie genoss die
kleine Lehrstunde sichtlich.
    Ich drückte auf die Speichertaste 1 des
Telefons. Sekunden später meldete sich Schneiderhannes mit einem lang gedehnten
„Jaaa“.
    „Wo bist Du?“
    „Im Bett, wo sonst.“
    „Krank?“
    „Blödsinn. Ist Sonnabend!“, krächzte er. Dann
hörte ich starke Schluckgeräusche, Schmatzen und er stieß krachend auf.
    „War die Nacht über noch im Institut. Dachte
mir, wenn an unserer Hypothese was dran sein sollte, dann müsste man doch was
finden, Betäubungsmittel oder so.“
    Ich stellte das Telefon auf Lautsprecher.
Schneiderhannes schnaufte.
    „Ja, also, Chemie ist ja nicht so dein Ding. Ich
denke, sie wird so gegen eins ertränkt worden sein. Ergibt sich rein
rechnerisch aus Wassertemperatur, Körpertemperatur, Lufttemperatur ab acht Uhr
zwanzig plus eine halbe Stunde, als wir gemessen haben. Soweit so einfach. Tja,
aber als sie hier ankam, war es schon wieder zwölf.“
    Mader stöhnte laut auf. Ich sagte nur: „Mist.“
    „Hab ich auch erst gedacht. Kannst Du Dir eigentlich
Karlas Blick vorstellen, als ich ihr gesagt habe, sie soll mich wieder
zurückfahren?“
    Bildhaft, auch wenn es mich kaum interessierte:
„Aber ihr hättet sie doch viel früher da haben müssen?“
    „Wer hat Dir denn Nachhilfe gegeben, höre ich
da den Fachmann? Egal, der Transporter ist jedenfalls unterwegs liegen geblieben.
Schau Dir doch unser Material mal an. Da wird gespart, was das Zeug hält. Wenn
es um Leichen geht, schicken sie, was gerade noch fahrtüchtig ist. Gestern ist
die Karre halt verreckt, Hitzekoller. Dann warten auf den Abschleppwagen und so
weiter, dauert eben. Tote haben schließlich alle Zeit der Welt.“
    Mader beugte sich über den Schreibtisch.
    „Könnten Sie mal auf den Punkt kommen oder
sollen wir gleich nach Hause gehen.“
    „Ah, unsere junge Kollegin, die sich immer
hinten in die Vorlesung quetscht und denkt, ich wäre blind. Da hilft auch das
Kopftuch nichts.“
    Sie ließ sich zurückfallen und fing an die drei
Seiten des vorläufigen Autopsieberichtes neu zu ordnen.
    „Pass auf Gallert, die zieht an Dir vorbei,
ohne dass Du was merkst. Auf den Punkt also. Was denkt denn die Kollegin so?“
    „GHB wäre naheliegend“, schnauzte sie über den
Schreibtisch, „Hat sich dann aber wohl erledigt.“
    Schneiderhannes pfiff in den Hörer, etwas, das
sich anhörte wie „It´s a long way to Amarillo.“
    „Schade, eben dachte ich noch, Sie könnten auch
gut bei mir anfangen. Aber jetzt, zu wenig Vertrauen. Nicht so schnell
aufgeben, spart manche Enttäuschung.“
    Mir blieb nur eine vage Hoffnung, dass ich ihn
richtig verstand.
    „Positiv?“, meine Stimme zitterte ein wenig.
    „Yeap. Urin ist manchmal unschlagbar. Manch
einer hält ihn glatt für gesund, egal. Wie dem auch sei, ihr könnt in zwei
Stunden vorbeikommen.“, schon hatte er grußlos aufgelegt, wie immer.

13
    Er musste vorsichtig sein. Schon seit Tagen
fuhr oder lief er immer wieder die einschlägigen Straßen ab. Er wechselte die
Autos, kam mal nachts, mal um die Mittagszeit. Mal im Tweed-Sakko, dann wieder
wie ein Tourist in Shorts. Kein Foto. Was für eine Bande von Schwachköpfen.
    „Ich bin die Susi, mein Kleiner!“, habe sie zu
ihm gesagt, mit einem leicht norddeutschen Akzent, an mehr konnte dieser geile
Idiot sich nicht erinnern. Haarfarbe: wohl naturblond. Größe: etwas kleiner als
die andere, also um die 1,70 Meter. Und das in einer Stadt, die Tausende Nutten
aus aller Welt anzog.
    Einzig die Bereitschaft zu „allem“ grenzte die
Suche ein.
    Er war nur einer von unzähligen Freiern, die
täglich gaffend zu Fuß oder im Auto rund um den U-Bahnhof Kurfürstenstraße
herumlungerten. Den Blick mal verschämt auf den Boden, mal frech taxierend auf
die hochgepressten Möpse gerichtet. Inzwischen kannte er sie fast alle.
Gesichter, Namen – er hatte ein fotografisches Gedächtnis. Aber bislang
entsprach keine dem wenigen, was er wusste.

14
    Mader begann wieder hin und her zu schaukeln. Ich
stand vorm Ventilator und genoss den Luftzug, mein Hemd klebte am Rücken. Kleine
Schweißrinnsale flossen von der Stirn über die Wange, dann und wann löste sich
ein Tropfen vom Kinn und landete geräuschlos da, wo mein Hemd über dem Bauch
spannte. Es ging auf high-noon zu, Zeit für eine Abkühlung.
    „Bergmannstraße?“
    Sie nickte und griff nach
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