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Coltan

Coltan

Titel: Coltan
Autoren: Ivo Andress
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Händen.“
    Schneiderhannes stand mit unbewegtem Gesicht da
und starrte auf das Stoffdreieck zwischen seinen Fingern, als suche er nach
etwas oder hätte schon wieder vergessen, was er eigentlich sagen wollte.
    „Ich muss zuhause immer mal Wäsche waschen.“
    „Schön zu wissen, und bügeln?“
    „Da ist natürlich auch Karlas Wäsche dabei.“
    Ich schüttelte den Kopf verständnislos den
Kopf: „ Koch- oder Buntwäsche?“
    „Äh, weder noch.“ Jetzt wirkte Schneiderhannes
irritiert: „Interessiert Dich das wirklich?“
    „Nein, verdammt. Ich will wissen, was los ist?“
    „Ja, gut … Also, das ist jetzt nicht gerade
wissenschaftlich exakt. Jedenfalls, ich glaube, dieser Slip ist frisch aus dem
Kaufhaus. Das heißt, selbst wenn der nicht im Kanal durchgespült worden wäre,
hätten wir keine Waschmittelreste gefunden. Alles klar? – Also, der sieht, was
soll ich sagen, nicht nur ziemlich, sondern richtig neu aus.“
    Sein Kopf fiel leicht nach vorne und wackelte ein
wenig hin und her, als überlege er noch, was das nun eigentlich zu bedeuten
habe.
    „Kurz gesagt, Du meinst, irgendwer hat sie
umgezogen. Also ihre eigenen Sachen ausgezogen und verschwinden lassen und ihr
dafür den Billigplunder verpasst?“
    Er holte tief Luft und stieß ein langes „Jaaa“
heraus.
    Ich ging zum Kühlschrank, schob die Einmachgläser
mit den eingelegten Innereien beiseite und nahm zwei Bier aus dem hinteren
Teil. Es machte leise plopp und wir lehnten uns an die Fensterbank.
    Vor uns lag Lily auf einem blankpolierten
Edelstahltisch, zur Hälfte bedeckt von einem weißen Baumwolltuch. Der lange Y-Schnitt
war nur notdürftig vernäht.
    „Also kein Unfall - Mord?“
    Wieder wackelte sein Kopf hin und her.
    „Ich würde sagen, wir haben eine Hypothese, die
sich auf diesen klitzekleinen Rest des Preisschildes stützt. Überzeugend ist
was anderes, ich weiß! Sie kann sich natürlich auch selbst neu eingekleidet haben?“
    Viel war es wirklich nicht, was er gefunden
hatte. Und welchen Staatsanwalt konnte man mit den persönlichen Erfahrungen
eines Rechtsmediziners in Sachen Damenunterwäsche dazu bewegen, eine wirkliche Morduntersuchung
in Gang zu setzen, statt nur die Anfragen abzuarbeiten?
    Schneiderhannes sah mich an und machte sich
wohl ähnliche Gedanken: „Vielleicht sollten wir noch einen Sachverständigen für
Heißwäsche hinzuziehen …“
    „Gibt es irgendeine Abschürfung?“
    „Nichts. Auch keine Rutschspur an der Böschung.
Bei der Strömung ist die Umgebung überschaubar, aber Fehlanzeige!“
    „Dann hat sie also jemand, wie auch immer, in
den Kanal geworfen oder getragen oder …?“
    „Und sie hat das einfach so geschehen lassen - “,
Schneiderhannes zog schniefend Luft durch die Nase und griff nach seinen
Zigaretten. Oft bestand sein Job lediglich darin zu bestätigen, was alle schon
wussten. Wie bei dem Ehemann, den ich vor zwei Wochen mit dem Hammer in der
Hand neben seiner erschlagenen Ehefrau antraf. Schneiderhannes zerlegte die
Frau fachmännisch, um dann festzustellen, was der Mann auch gar nicht abstritt,
dass der Schädel der Frau mit einem großen Hammer zertrümmert worden war. Hinterrücks,
mit einem einzigen Schlag. Voilá! Doch dieser Fall war anders, irgendetwas
fehlte, hatte sein Misstrauen geweckt. Er ließ den Slip um den Zeigefinger
kreisen. Mord, Unfall oder Selbstmord?
    Ich starrte auf meine Schuhspitzen und schwieg.
Er könnte meine Rettung sein. Nicht was ich ahnte oder wusste, sondern was er
fand, würde aus dem Todesfall einen Mordfall machen.
    „Oh, die Herren treffen sich jetzt auch
nächtens – oder habt ihr endlich jemanden gefunden, der nicht NEIN sagen kann,
wenn ihr eure Vorträge haltet!“, schallte es plötzlich glucksend durch den
Raum. In der Tür stand Karla, seine Frau, und schüttelte ihre Locken aus.
    „Zwei Männer im besten Alter starren auf den ausgeweideten
nackten Körper einer Frau. Jungs, ganz ehrlich, mir wäre wohler, wenn ihr in die
nächste Nachtbar gehen würdet.“
    Wir gaben wirklich ein eigentümliches Bild ab.
    „Feierabend!“ Schneiderhannes knickte den Oberkörper
über der Hüfte ab, beugte sich nach vorn und griff nach einem Laken. Er gab
seine Abschlussvorstellung für den heutigen Tag, riss das Tuch mit elegantem
Schwung in die Höhe, sodass es sich entfaltete, um dann langsam niedersinkend ihren
Körper zu bedecken.

11
    Gründerzeit, klassizistisch, Dachgeschoß, als
ich damals vor acht Jahren vor dem Haus in der Sophienstadt
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