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Coltan

Coltan

Titel: Coltan
Autoren: Ivo Andress
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eine dunkle Gasse gehen. Wenn sie auf der Straße stand,
dann nur, weil ihr Taxi noch nicht da war.
    Vor der Dusche summte mein Handy leise vor sich
hin. Für einen Moment wollte ich mich tot stellen, aber was soll´s, es war
Urlaubszeit und sie würden immer wieder anrufen.
    Ich griff nach dem Handtuch und drückte mit
spitzen Fingern die grüne Taste. Die Antwort auf mein „Hallo“ war ein trockener
Hustenanfall, dann schlug irgendetwas dumpf auf einen Metalltisch.
    „Scheiße! Gallert?“, tönte es. Schneiderhannes
rang nach Luft.
    „Hör auf zu rauchen“, sagte ich und rubbelte
mir das Haar trocken. Erfahrungsgemäß brauchte er nach jedem Anfall eine gute
Minute, bis er wieder klar reden konnte.
    „Wie wäre es mit einem Bier, schön kalt?“,
krächzte er.
    „Bei uns ist es angenehm frisch. Und wir
dachten uns, die Kleine auf dem Tisch und ich, vielleicht kommst Du ja mal auf
einen Sprung vorbei. Hast ja sonst nichts zu tun.“
    „Dachtet ihr euch? Sonst alles klar bei Dir?“
    „Geht so. Ein bisschen einsilbig die Dame und
mir ging schon fast der Gesprächsstoff aus, aber dann … Also, kommst Du?“
    „Willst Du nicht endlich nach Hause?“
    „Ach, die Frau meines Herzens ist mit unserm
Wagen irgendwo hinter Rostock liegen geblieben und der ADAC hat wegen der Hitze
alle Hände voll zu tun. Also hopp!“
    „Toxikologie?“
    „Fast richtig.“
    „Bis gleich.“
    Ich griff nach einem frischen Shirt und
schlüpfte in die Jeans. Zehn Minuten schnellen Schrittes, dann wüsste ich, ob
es einen Ausweg gab.

10
    Ferdinand Schneiderhannes wirkte auf den ersten
Blick wie der deutsche Beamte schlechthin: Weiße Ärmelschoner, perfekt
gebügelter grauer Maßanzug, braune Aktentasche, anders ging er nicht aus dem
Haus.
    Jetzt war von alldem nichts zu sehen. Der grüne
Kittel schlotterte um seinen langen, hageren Körper und nur der sehnige Hals,
auf dem ein eiförmiger Kopf thronte, gekrönt von einer Halbglatze, ragte hervor.
Seine weichen, kraftlos wirkenden Hände mit ihren überlangen Fingern, die sich
mühelos um die Pranken eines Akkordmaurers legten, steckten in weißen
Latexhandschuhen. Nein, Schneiderhannes erfüllte nicht die gängigen
Voraussetzungen, um als Womanizer zu gelten. Trotzdem war er glücklich liiert, und
es blieb vielen ein Rätsel, was diese Frau an ihm gefunden haben mochte. Ein
lebendiger Wirbelwind, Mitte dreißig mit Lockenmähne und braunen Augen und Körpermaßen,
die kein Mann ignorierte.
    Angefangen hatte er als niedergelassener Chirurg
mit eigener Praxis, bis er es leid war, sich mit Kassen und Verbänden ums Geld zu
streiten. Also sattelte er um. Toller Job für einen Arzt, erklärte er allen,
die es wissen wollten: ewig Zeit für die Kundschaft und nie Probleme mit dem
Praxisbudget.
    Es gab Zeiten, da war er kaum erreichbar. Denn
Professor Dr. Ferdinand Schneiderhannes war weit über Berlin hinaus ein gefragter
Analytiker. Was dazu führte, wie er gern behauptete, dass er der Einzige sei,
der New York, Buenos Aires oder Peking am Geruch ihrer Leichenkammern
unterscheiden könne.
    Und dann war da noch der ganz andere
Schneiderhannes, den ich irgendwann nachts in einer jener Bars traf, die ich
normalerweise erst nach einem Blick in den Dienstplan des Sondereinsatzkommandos
aufsuchte.
    Seine Eltern hatten angesichts seiner Finger
auf eine Karriere als Pianist gehofft, Mozart, Bach, Händel. Er jedoch fühlte
sich noch vor der ersten Stunde den großen alten Männern des schwarzen Südens
weit mehr verbunden, sodass er den klassischen Teil des Unterrichts über sich
ergehen ließ, ohne je wieder darauf zurückzukommen. Handwerkszeug, mehr nicht.
    In jener Nacht war ich auf der Suche nach einem
letzten Drink, einer Frau und Vergessen. Er nickte mir nur kurz zu; wir wussten
beide, dass es nichts zu bereden gab. Nichts ist so eindeutig wie das Verlangen
nach dem Dunklen, Abgründigen. Also beugte er sich wieder über die Tasten und
spielte weiter für all jene, die sich hatten durch die Nacht treiben lassen und
nun hier gestrandet waren.
    „Wo ist mein Bier?“
    „Später.“
    Er hielt einen Tanga aufgespannt zwischen
Daumen und kleinem Finger.
    „Von eurer osteuropäischen Nutte.“
    Ich sah ihn an und wartete: „Und?“
    „Manchmal, ja, manchmal da habe ich so etwas
wie eine Eingebung. Also, ich ziehe die Kleine aus, wie immer, lege jedes
Kleidungsstück auf den Tisch, um es später ordentlich zu verpacken. Ja, und
dann habe ich da auf einmal diesen Slip in den
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