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Coltan

Coltan

Titel: Coltan
Autoren: Ivo Andress
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dem Autoschlüssel.
    Die Klimaanlage sprang sofort an. Auf direktem
Weg waren es nicht mehr als eineinhalb Kilometer, aber man konnte es auch
kompliziert machen und so brauchten wir eine halbe Stunde über den Hermannplatz
und wieder zurück. Berlin kochte und das Auto war ein angenehm kühler Ort.
    Wir landeten beim Inder, bestellten frischen Pfefferminztee,
Fladenbrot und eine bunte Palette Joghurtcremes.
    „Wie soll es jetzt weiter gehen?“
    Ich sah sie an und überlegte.
    „Erstmal müssen wir Martens auf den Stand
bringen. Dann lassen wir das Foto von der Kunstabteilung ein wenig nachbearbeiten.
Sie sollen sie lebendig machen und mit unterschiedlichen Haartypen, Perücken
ausstatten. Ich glaube, dass das eine Frau war, die bestimmt nicht wollte, dass
man sie immer und überall erkennt.“
    Ich zog die Stirn kraus, um meinen Gedanken
Tiefgründigkeit zu verleihen, entschloss mich zu einer kurzen Pause, um dann
noch eins draufzusetzen.
    „Ist doch klar. Falsche Klamotten! Da wollte
jemand linken. Heißt im Umkehrschluss, sie war genau das Gegenteil. Hat bestimmt
Wert auf ihr Äußeres gelegt, meine ich. Oder?“
    Mader rührte in ihrem Tee und beobachtete mich.
Ihr zustimmendes Nicken kam merklich langsamer als sonst, als müsste sie einen
komplizierten Gedankengang nachvollziehen.

15
    Die Kunstabteilung war eine Ein-Mann-Notbesetzung
namens Walther, der sich alle Mühe gab, während ich ihn sanft dirigierte.
    Einige Male hatte ich sie in dem gesehen, was
sie ihr Business-Outfit nannte, lange rotblonde Haare, eine Mähne wie aus der
Shampoowerbung. Die Echthaarperücke hatte sie das gekostet, was ich für einen
Kleinwagen auszugeben bereit war. Die Lily, die ich kannte, hatte schulterlange
schwarze Haare, joggte im Muskelshirt morgens leichten Schrittes durch die
Stadt.
    Ich wusste, was ich wollte, hatte ihr Bild genau
vor Augen. Aber das wäre zu schnell, zu auffällig gewesen. So diskutierten wir,
was zu dem Gesicht passen würde, probierten dies und das und hatten nach zwei
Stunden acht Varianten.
    Lily schien zu lächeln mit halb geöffneten
Augen. Im Büro sortierte ich die überflüssigen Bilder aus, zurück blieb nur zwei:
Lily, blond, langes Haar und als femme fatal mit rotblondem Kopfschmuck. Wer
sie so gesehen hatte, würde sich erinnern. Noch Wochen später.
    Mader sah sich die Fotos an: „Das war eine schöne
Frau. Aber warum legst Du die anderen Fotos in den Schreibtisch?“
    Ich schüttelte, wie über mich selbst
verwundert, reflexartig den Kopf und stopfte alle Fotos in einen großen
Umschlag.

16
    „Sie haben ihr Bild in die Zeitung gesetzt.
Sieht wirklich aus wie eine vom Straßenstrich. Gut gemacht.“ Tarnowski wusste,
dass es nicht viele gab, die professionell genug waren, um unerkannt und doch
erfolgreich in diesem heiklen Metier auf Dauer zu überleben.
    „Danke.“
    „Und die andere.“
    „Ist immer noch verschwunden.“
    „Vielleicht hat sie ja die Stadt verlassen.
Andererseits, wohin und wie?“
    „Die kommt zurück, dahin, wo sie sich auskennt.
Allerdings –„
    „Was?“
    „Warum lassen wir nicht die Finger von ihr. Ein
Junkie, mehr nicht.“
    „Sie sind zusammen getürmt?“
    „Aber die beiden kannten sich kaum und die
Kleine war so zugedröhnt, dass sie sich garantiert an nichts erinnert.“
    „Woher wollen Sie das wissen?“
    „Wir wirbeln unnötig Staub auf.“
    „Zwei Nutten, die sich nicht kennen. Es ist
Hochsommer. Da dreht der eine oder andere schon mal durch.“
    „Ich melde mich.“
    Tarnowsky blickte aus seinem Hotelfenster direkt
auf das emsige Gewirr des Potsdamer Platzes. Noch hatte er es in der Hand. Er war
unschlüssig. Andrej verstand sein Geschäft. Sollte er seinem Rat folgen? Zwei
Tote, eine Tote? Es gab keine weitere Verbindung zwischen den beiden, nicht im
Leben, nicht im Tod. Vielleicht war sie wirklich kein Risiko? Und außerdem, es
war ein Unfall. Nichts weiter, hoffentlich. Sie hatten die Dosis genau
berechnet, sich exakt an den Zeitplan gehalten. Aber was er bis heute nicht
verstand: Sie war viel schneller ohnmächtig geworden als erwartet.
    Das Handy auf dem Tisch begann leise eine
Mozartsonate zu intonieren. Die Nummer im Display riss ihn aus seinen Gedanken,
er musste annehmen.
    „Na mein Freund, wie geht es Ihnen?“
    „Die Hitze, unerträglich. Und die Frau macht
mir Sorgen. Haben Sie mit ihr gesprochen?“
    „Natürlich.“
    „Gut, sehr gut.“
    „Sie ist sehr klug, wir haben uns arrangiert. Nicht
ganz billig, aber das war es
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