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Colombian Powder

Colombian Powder

Titel: Colombian Powder
Autoren: Simone A. Siegler
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hoffe ich«, erklang ein tiefer Bass. Mein Vater, der den Titel des sechsten Grafen von Sonnenberg-Sardingen trug, war unbemerkt in die Halle getreten. »Du willst hier hoffentlich noch das lernen, was die Herren Professoren über wahres Landleben gar nicht wissen, nicht wahr, Gustl?«, dröhnte der massige Mann und umarmte Gustav herzlich.
    »Gustav studiert Landwirtschaft«, raunte mir meine Mutter zu. Es klang so, als habe sie mir eben anvertraut, dass er ein unehelicher Ableger des Heiligen Vaters sei.
    »Wir werden dir den Aufenthalt hier so angenehm wie möglich machen. Nina wird sicher gern mit dir ausreiten und dir die Gegend zeigen.«
    Vaters Blick duldete wie immer keinen Widerspruch.
    »Seit deinem letzten Besuch hat sich viel verändert.«

    Natürlich fügte ich mich den Erwartungen und unternahm bald stundenlange Ausflüge mit Gustav. Entgegen meinen Befürchtungen entpuppte er sich als hervorragender Reiter. Meine anfängliche Abneigung gegen ihn schwand rasch, und es war angenehm, sich mit ihm zu unterhalten. Er war ein geduldiger Zuhörer und stellte die richtigen Fragen, ohne je neugierig zu wirken. Die Wochen vergingen, und Gustav kam mit den Vorbereitungen für sein Examen gut voran. Sein blasses Gesicht hatte Farbe angenommen, und er war bald mehr auf dem Hof und den Weiden zu finden als auf seinem Zimmer über den Büchern. Überhaupt war die Stimmung auf dem Gut seit seinem Auftauchen so gelöst wie lange nicht. Mein Vater, in seinem Wesen eher wortkarg und undurchdringlich, verbrachte nun ganze Vormittage in der Remise, um mit Gustl, wie ihn alle nannten, über das Für und Wider von Anschaffungen neuer Maschinen zu debattieren.
    Zu dieser Zeit führte ich ein beschauliches und sorgloses Leben auf dem Gut. Im Jahr zuvor war ich wieder gänzlich nach Hause zurückgekehrt, nachdem ich ein Wirtschaftsstudium nach zwei Semestern aufgegeben hatte.
    »Wider jeder Vernunft!«, wie Vater verständnislos feststellte. Rückblickend muss ich zugeben, dass ich mich damals meinen Eltern gegenüber sicher nicht fair verhalten habe. Ein Studium kostet nicht nur Zeit, sondern auch Geld – wobei ich nie gefragt habe, wo Letzteres herkommt.
    Vater hatte getobt, gedroht, und sich schließlich doch wieder beruhigt. Aus der Übergangslösung, die meine Rückkehr ursprünglich hätte sein sollen, war etwas Andauerndes geworden. Ich wollte wieder studieren, konnte mich aber für keine Fachrichtung mehr begeistern. Niemand drängte mich zur Eile, und ich hatte den Eindruck, dass alle ganz zufrieden waren mit meiner Anwesenheit.
    Wie naiv war ich nur gewesen! Glaubte ich allen Ernstes, das schöne Leben würde immer so weitergehen? Vor lauter Selbstzufriedenheit übersah ich die Gewitterwolken, die am Horizont aufzogen.

    Der Frühling hielt Einzug in Ostfriesland, und an einem warmen Tag ritten Gustav und ich bis zur Küste bei Emden. Bis ins holländische Delfzijl konnten wir sehen. Meine Laune war blendend, Gustav aber schien irgendwie verändert. Seine Schweigsamkeit war mir natürlich aufgefallen. Bei einer Rast saßen wir wie immer auf der Pferdedecke und teilten uns einen Imbiss. Aus den Augenwinkeln beäugte ich Gustav, der konzentriert Grashalme ausrupfte und zwischen seinen Fingern zerrieb. Ich überlegte gerade, ob ich ihn nach dem Grund für sein Verhalten fragen sollte, doch er kam mir zuvor.
    »Nina«, druckste er herum. Ich sah ihm an, wie schwer es ihm fiel, weiterzusprechen. »Du weißt gar nicht, wie sehr ich diese Ausflüge mit dir genieße.«
    »Ich reite auch gern mit dir aus«, antwortete ich artig und wünschte, er möge nicht weitersprechen – es war auch nicht nötig. Jetzt war klar, wohin der Hase lief. Das Leuchten, das bei meinen Worten in seine Augen trat, erübrigte Weiteres.
    »Du bist die wunderbarste Frau, die ich je getroffen habe.«
    Ich stöhnte innerlich auf. Mach doch nicht alles kaputt! Mir wurde augenblicklich klar, dass ich niemals dieselben Gefühle für ihn empfinden würde, die er für mich hegte. Eigentlich hätte ich es ahnen müssen.
    »Nina«, sagte er noch einmal, und nun sah er mir direkt in die Augen. »Ich habe mich in dich verliebt.« Zu meinem Entsetzen kniete er vor mir ins Gras. »Schon als Kind habe ich dich bewundert, aber ich ahnte ja nicht, zu welchem Juwel du dich entwickeln würdest! Ich kann mir nichts Wundervolleres vorstellen, als für immer mit dir zusammen zu sein.« Er schien meinen Widerstand gar nicht zu spüren, als er meine Hand nahm, obwohl ich
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