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Codex Mosel

Titel: Codex Mosel
Autoren: Mischa Martini
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in den Rekorder, bevor sie sich wieder zurücklehnte.
    »Listen to the dialogue and decide which sentence …«
    »Hältst du deinen Vortrag in Englisch?«, fragte Gabi.
    »Nein«, sagte Walde. »Soviel ich weiß, können die Kollegen zwischen einem halben Dutzend angebotener Simultanübersetzungen wählen.«
    »Und warum läuft das dann?« Sie deutete auf das Armaturenbrett.
    »Englisch wird wohl am meisten gesprochen, bis auf einige Fachreferate.«
    »Aha.« Gabi drückte ein paar Knöpfe an der Musikanlage, bis sie wieder auf Radio umgestellt hatte.
    »Wo soll ich euch absetzen?«
    »So nahe wie möglich am Hauptmarkt. Haben wir das nicht vorhin abgesprochen? Wir nehmen eine Pension in der Dietrichstraße unter die Lupe. Da ist ein Großteil der Leute einquartiert, die mit der Renovierung der Kapelle im Dom beschäftigt sind.«
     
    Walde parkte auf dem immer noch für Zivilfahrzeuge gesperrten Domfreihof. Er sah seinen beiden Kollegen nach, die sich zwischen den Schaulustigen hindurchzwängten, die ihren Einkaufsbummel mit einem Besuch der Sternstraße verbanden. Ihn überkam Hunger. Er folgte den beiden durch die Menge. Als er in Richtung Hauptmarkt schaute, waren Gabi und Harry schon nicht mehr zu sehen.
    Fast alle Tische in der Gerüchteküche waren besetzt. Uli kassierte Gäste an der Theke ab. Walde setzte sich an einen Ecktisch, von dem aus er das Lokal und das Fenster im Blick hatte. Er stellte verschmutzte Teller und Tassen zusammen, wischte Krümel von der Tischplatte in seine Hand und warf sie in den Aschenbecher.
    »Hallo.« Elfie, Ulis Freundin, steuerte aus der Küchentür direkt auf Walde zu. Sie war die Mitinhaberin der Gerüchteküche und schmiss den Laden. Uli, ehemaliger Redakteur der Tageszeitung, versuchte seit Jahren, eine kleine Zeitung mit dem Titel Extrablatt zu etablieren, die es noch nicht geschafft hatte, regelmäßig zu erscheinen.
    »Baguette Provence mit Crème fraîche und dazu einen Darjeeling?«
    »Danke, genau das«, antwortete Walde. »Wie läuft der Laden heute?«
    Sie nickte und sagte halblaut: »Gut, aber das passt Uli im Moment gar nicht, wo er doch endlich mal wieder ein brisantes Thema für sein Blättchen hat.«
    Kaum hatten die Leute an der Theke bezahlt, kamen neue Gäste herein. Elfie nahm das Geschirr von Waldes Tisch mit.
    »Hallo, Walde, du hier?«, rief Uli vom Nachbartisch herüber, wo er klappernd das Geschirr abräumte.
    »Warum?«
    »Ich meine, heute, wo doch …« Uli eilte mit dem Geschirr zur Theke und kam mit einem Stapel Speisekarten zurück, die er den neuen Gäste reichte.
    Waldes Mobiltelefon klingelte.
    »Ich bin noch in der Pathologie.« Grabbe klang, als ringe er nach Atem.
    »Ist dir schlecht?«, fragte Walde.
    »Nein, wieso?«
    »Du hörst dich deprimiert an.«
    »Ganz im Gegenteil, ich hab gelacht!« Grabbe begann zu kichern. »Kennst du den mit dem Skelett und dem Arzt?«
    »Grabbe, bitte verschone mich mit Hoffmanns alten Witzen.« Walde schob sich ein Stück weißen Kandiszucker in den Mund.
    »Ich hab den noch nie gehört.«
    »Dann solltest du öfter zur Pathologie gehen.«
    »Der Karl Marx ist in der Kurie gestorben.«
    »Ich dachte, in London.«
    »Hab ich Karl gesagt?«
    »Hm.«
    Elfie servierte das Baguette und stellte ein Tee-Kännchen und eine Tasse auf den Tisch.
    »Ich meinte natürlich Konrad Marx. Wenn er nicht ausgerutscht ist, könnte er gestoßen worden und mit dem Kopf auf eine Sprosse gestürzt sein. Es könnte ihm aber auch ein Schlag mit einem stumpfen Gegenstand versetzt worden sein. Die wahrscheinlich zum Tode führende Verletzung liegt etwa auf einer Linie zwischen Augen und Ohren. Beim Sturz von der Leiter hat er noch weitere Knochenbrüche erlitten. Wusstest du übrigens, dass jeder Mensch über 230 Knochen hat?«
    »Ich hab meine noch nicht gezählt.« Walde konnte dem Baguette nicht widerstehen. Er biss eine kleine Ecke ab.
    »In der Nase sind zum Beispiel gar keine Knochen, das sind Knorpel.«
    Walde wischte sich gebackenen Käse von der Oberlippe. »Das deckt sich mit den Erkenntnissen der Spurensicherung, die festgestellt hat, dass sich eine zweite Person oben im Kutscherhaus aufgehalten haben muss.«
    »Ein Knochen gilt ja gewissermaßen als tot, aber ein Knochenbruch …«
    Walde hatte genug, legte auf und platzierte das Handy neben seinen Teller. Anatomischen Ausführungen aus zweiter Hand zu lauschen, dazu hatte er jetzt weder Nerven noch Zeit. Er schenkte sich Tee ein und gab Kandiszucker dazu.
    Gerade hatte er
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