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Codewort Rothenburg

Codewort Rothenburg

Titel: Codewort Rothenburg
Autoren: Béla Bolten
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frische Luft. Er schaute sich vorsichtig um. Niemand zu sehen. Nur schwarze Nacht. Es waren kaum Passanten unterwegs. Die Berliner saßen zu Hause und hofften, dass diese Nacht ruhig bliebe. Die Angst fesselte sie. In einem Hauseingang links von Daut glimmte ein Feuerzeug auf. Er blieb stehen und fragte, ohne sich dem Raucher zuzuwenden:
    »Hast du auch eine Zigarette für mich, Kumpel?«
    »Warum nicht.«
    »Was für eine Marke rauchst du?«
    »Ernte 23. Das ist der beste Jahrgang.«
    Diesen absurden Dialog hatte Luise ihm immer und immer wieder eingeschärft. Er war der vereinbarte Code. Hätte der Mann nicht genau diese Worte gebraucht, wäre Daut sofort zurück in den Schutz der U-Bahn gelaufen. Jetzt aber konnte er sicher sein, dem wegen Fahnenflucht und Mord gesuchten Albert Just gegenüberzustehen. Daut trat auf ihn zu. Just sagte leise und erstaunlich ruhig:
    »Ich dachte, es kommt eine Frau.«
    »Der Plan musste geändert werden. Ist Ihnen jemand gefolgt?«
    »Nein.«
    »Sind Sie sicher?«
    Just zuckte mit den Schultern.
    »Geben Sie mir einfach, was Sie für mich haben, dann können wir beide verschwinden.«
    »Geduld.«
    Daut zündete sich eine Zigarette an und inhalierte tief.
    »Erst will ich wissen, warum Sie Dora Zegg in Wahrheit ermordet haben.«
    »Ich kenne keine Dora Zegg. Wenn Sie diese Hure Inge meinen ...«
    Just kam nicht dazu, den Satz zu vollenden. Daut schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. Der Schlag erzeugte in der Stille der Stadt ein lautes, deutlich hörbares Klatschen. Gleichzeitig fiel Just die Zigarette aus dem Mund. Daut erschrak und blickte sich um. Nichts war zu sehen und zu hören.
    »Sind Sie verrückt, Mann?«
    Albert hielt sich die Wange.
    »Ich denke, Sie bringen mir meine Papiere, und dann verprügeln Sie mich hier.«
    »Wenn ich Sie verprügele , gehen Sie nirgendwo mehr hin. Erzählen Sie mir, was in der Nacht passierte, als Sie Dora Zegg ermordeten.«
    »Ich habe sie nicht ermordet, ich habe sie getötet. Aus Notwehr. Ich hatte keine andere Wahl. Hätte ich sie am Leben gelassen, stünde ich heute nicht hier, sondern läge im Landwehrkanal und moderte vor mich hin.«
    Daut musste an Marianne denken, wischte diesen Gedanken allerdings beiseite.
    »Wenn Sie diese Papiere haben wollen, Just«, Daut klopfte mit der Holzhand auf seinen vom dicken Umschlag leicht ausgebeulten Mantel, »müssen Sie mir die ganze Geschichte erzählen, von Anfang an. Warum sind Sie überhaupt in dieses Bordell gegangen? Es war doch klar, dass es gefährlich werden könnte.«
    Albert zog eine Zigarette aus einem zerdrückten Päckchen und zündete sie umständlich an.
    »Was blieb mir anderes übrig. Die Kameraden begannen zu reden, weil ich nie ein Mädchen hatte.«
    Albert rauchte und blies Ringe in den Nachthimmel, während er in kurzen, abgehackten Sätzen erzählte. Immer wieder berichteten die Kameraden von ihren Abenteuern. Er hörte zu und schwieg. Bis sie ihn einluden.
    »Mensch, Albert, das musst du probieren!«
    Dabei hatten sie ihm auf die Schulter geschlagen. Ein Nein hätten sie niemals akzeptiert. Zu oft hatte er sich verweigert, jetzt musste er ihrer Einladung folgen. Man redete ohnehin über ihn.
    »Du bist doch nicht etwa ein warmer Bruder?«, hatte der ansonsten so gemütliche Schwabe Rudi gefragt und schob noch nach: »Die Inge kostet auch nix! Wäre aber locker einen Monatssold wert.«
    Die anderen brüllten los. Hätte er abgelehnt, wären die Gerüchte davongaloppiert.
    Albert hielt Daut fragend die Zigarettenpackung entgegen. Der Polizist schüttelte den Kopf.
    »Ich musste ihnen beweisen, dass ich nicht andersherum bin, denn das wäre nicht weniger gefährlich gewesen. Also ließ ich mich auf diesen Bordellbesuch ein. Natürlich wusste ich, dass ich aufpassen musste. Die Frau durfte mein Glied nicht sehen. Es würde ja kaum das erste sein, das sie zu Gesicht bekam, und sie hätte sich gewundert, wenn nicht sogar Angst bekommen. Sexueller Verkehr mit einem wie mir ist schließlich Rassenschande. Verboten. Steht unter Strafe.«
    Daut schluckte. Albert erzählte ihm nichts Neues, er kannte die Paragrafen. Und doch fühlte es sich in dieser direkten Konfrontation anders an.
    »Wenn Sie es doch so genau wussten, hätten Sie sich dieser Situation niemals aussetzen dürfen.«
    Just lachte laut auf.
    »Ich muss mein Aussehen doch ständig erklären, oder glauben Sie, niemand hätte mich bisher nackt gesehen? Ich machte mir schon lange keine Gedanken mehr darüber, führte
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