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Codewort Rothenburg

Codewort Rothenburg

Titel: Codewort Rothenburg
Autoren: Béla Bolten
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zehn, maximal elf Wochen, wenn alles gut ging! Aber was hieß das schon. Mit der Geburt würde nichts besser, nur schwieriger. Vielleicht ließen ihn diese Sorgen nicht durchschlafen. Daut fand den Gedanken tröstlich, dass ihn die Ängste um seine Zukunft weckten und nicht sein Alter. Er schlich in die Küche und stieß gegen einen Stuhl, der mit lautem Knirschen über die Fliesen rutschte. Verdammte Verdunkelung! Er blieb einen Moment stehen und lauschte. Aus dem Schlafzimmer drang das Schnarchen seiner Frau. Er schloss die Tür so leise es ging und tastete sich zum Waschbecken. Er nestelte an der Unterhose und pinkelte. Seit einer Woche ging er nachts nicht mehr runter auf die Toilette. Seit ihm im Treppenhaus Fräulein Hermsen begegnet war. Wie nackt er sich in seiner blauweiß gestreiften Schlafanzughose vorgekommen war - das Oberteil hatte er ausgezogen, denn dieser Frühling fühlte sich an wie ein Hochsommer. Die Hermsen trug einen dunkelroten Morgenrock. Als sie ihn sah, griff sie sich in die wirr zu Berge stehenden Haare.
    »Huch, der Herr Daut! Treibt es Sie nachts auch immer raus?«
    Sie lachte gackernd, was ihren Busen in Bewegung brachte. Der Morgenrock glitt auseinander, und darunter kam ein schwarzes, fast durchsichtiges Nachthemd zum Vorschein, das eine Handbreit über dem Knie endete. Daut konnte deutlich die Brustwarzen erkennen. Sie schaute ihm herausfordernd ins Gesicht, nahm ihre Hände herunter und schloss betont langsam den Mantel. Er murmelte eine Entschuldigung und drängte sich an ihr vorbei. Ließen ihn die drei oder vier Bier, die er zuvor getrunken hatte, wanken, oder machte sie einen Schritt auf ihn zu? Für einen Moment berührten sich ihre Körper, was sie erneut zum Gackern brachte. Daut roch ihren leicht säuerlichen Atem. Es wunderte ihn, dass ihm der Mundgeruch nicht unangenehm war. Sie lächelte ihn an und drehte sich ohne ein Wort um. Die Treppe hinaufsteigend, drohte sie ihm mit dem Zeigefinger und kicherte wie ein Schulmädchen. Auf der Toilette musste er sich erst abregen, eher er sein Geschäft verrichten konnte.
    Seitdem pinkelte er in der Küche ins Waschbecken. Er bildete sich ein, Fräulein Hermsen lausche hinter der Tür, um ihn abzupassen.
    Als er fertig war, drehte er den Wasserhahn auf, um das Becken auszuspülen. In den Leitungen rumorte es, als müsse eine geheime Kraft das Nass aus tiefen Höhlen unter dem Haus nach oben pumpen. Endlich spuckte der Kran Wasser in kurzen Stößen aus, die nach einer Ewigkeit zu einem dünnen Strahl wurden. Er nahm den Schwamm vom Beckenrand und wischte alles gründlich aus. Während einer Schwangerschaft war Luise besonders geruchsempfindlich und hielte ihm morgen eine Gardinenpredigt, stieg ihr nur der geringste Uringeruch in die Nase.
    Er beugte den Kopf unter den Wasserhahn und trank einen Schluck. Pfui Teufel! Er spuckte die ekelhafte Brühe aus. Was sie hier in Berlin Trinkwasser nannten - grauenhaft! Wie die Wohnung mit der Toilette einen halben Stock tiefer im Treppenhaus. Wie die ganze Stadt. Es war Zeit, etwas zu ändern. Auf jeden Fall musste er sich um eine andere Bleibe kümmern. In drei Monaten würden sie zu fünft sein. Dann wäre es hier zu eng. Sie hatten das dritte Kind nicht gewollt. Wer konnte ahnen, dass Luise mit neununddreißig Jahren noch einmal schwanger würde. Am liebsten zöge er fort aus der Stadt. Zurück in die Heimat. Aufs Land. Daut würgte erneut. Der ekelhafte Geschmack im Mund wollte nicht verschwinden. Er bückte sich und öffnete die Schranktür unter dem Waschbecken. Ein Griff, und er fand, was er suchte. Den Wacholderschnaps hatte ihm sein Vater vor ein paar Wochen in einem Paket mit Schinken und Blutwurst geschickt. Er klemmte die Flasche zwischen Holzhand und Brust, zog den Korken heraus und nahm einen ordentlichen Schluck. In langsamen Bewegungen ließ er die scharfe Flüssigkeit im Mund kreisen, ehe sie die Kehle herunterrann und dabei eine brennende Spur hinterließ. Daut schüttelte sich wie ein nasser Hund. Eine Gänsehaut überzog seinen Arm, weniger vom Alkohol als von der warmen Erinnerung, die dieser Geschmack in ihm wachrief. Einen Moment war er geneigt, die Flasche noch einmal anzusetzen, drückte dann aber mit einer entschlossenen Bewegung den Korken in den Flaschenhals. Im selben Augenblick klopfte es an der Tür. Daut blickt zur Uhr über dem Küchentisch. Zehn nach vier. Es klopfte erneut, diesmal lauter.
    »Axel, mach auf, ich bin es!«
    Daut stöhnte auf. Draußen stand
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