Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Codewort Rothenburg

Codewort Rothenburg

Titel: Codewort Rothenburg
Autoren: Béla Bolten
Vom Netzwerk:
durchgehen lassen, das verstehen Sie doch, oder?«
    Schwarz nahm einen Schluck Cognac.
    »Ah, jetzt kommt die beste Stelle, finde ich. Da klettert die Maus auf Sie drauf, oder? Hört mal alle her, Männer. Unser Hauptsturmführer hier ist ein toller Hecht, oder?«
    Daut senkte den Kopf und ballte die Fäuste im Schoß. Ein Gefühl durchflutete ihn, das er schon eine Ewigkeit nicht mehr gespürt hatte. Deshalb brauchte er einen Moment, bis er begriff. Es war Scham, nichts als Scham.

Neununddreißig

    Daut rannte die Treppe hoch, riss die Wohnungstür auf und stürmte in die Küche. Gott sei Dank! Luise saß auf der Eckbank und starrte mit leerem Blick vor sich hin. Walter las in einem zerfledderten Buch, und die Kleine schlief, den Kopf im Schoß ihrer Mutter. Die Erlösung, dass die drei den Luftangriff wenigstens körperlich unbeschadet überstanden hatten, entfuhr Daut mit einem lauten Seufzer. Luise blickte auf, und in ihrem Blick lagen Trauer, Verzweiflung, Angst, aber auch Erleichterung. Zum Glück, dachte Daut, der Gleichgültigkeit im Blick seiner Frau in diesem Augenblick nicht ertragen hätte. Walter sprang auf und rannte auf seinen Vater zu, der ihn fest in die Arme schloss.
    »Komm, Papa, ich muss dir was zeigen.«
    »Gleich, mein Sohn, einen Moment!«
    Daut ging langsam um den Tisch. Vor Luise, die immer noch steif auf der Eckbank saß, kniete er nieder. Mit beiden Armen umfasste er ihren Oberkörper, soweit es ihm gelang. Luise schloss die Augen, und für einen Moment fürchtete Daut, sie könnte sich abwenden, aber auch sie schlang die Arme um ihren Mann und flüsterte ihm ins Ohr:
    »Gut, dass du zu Hause bist.«
    Er nickte stumm und drehte sein Gesicht nach rechts. Tränen liefen ihm über die Wangen, und er wollte nicht, dass sein Sohn mitbekam, wie hemmungslos sein Vater weinte. Luise hob den linken Arm und wischte mit dem Schürzenärmel über sein Gesicht. Als er sich wieder im Griff hatte, drehte sich Daut zu Walter um.
    »Was wolltest du mir denn so Wichtiges zeigen, mein Großer?«
    Walter klappte das Buch zu, in dem er ohnehin nicht mehr gelesen hatte, seitdem sein Vater die Wohnung betreten hatte. Er sprang vom Stuhl, nahm Daut bei der Hand und zog ihn ins Kinderzimmer.
    »Schau dir das an!«
    Mit vor Aufregung rot glühenden Wangen zeigte er auf die zwei Meter mal einen Meter fünfzig große Karte, die seit ein paar Monaten an der Wand hing. Mit Stecknadeln hatte er den Frontverlauf markiert, der seit Kriegsbeginn der wichtigste Lerninhalt des Erdkundeunterrichts war. Im Westen steckten blaue und grüne Nadeln - andere hatte Luises Nähkorb nicht hergegeben - mitten in Frankreich. Die Hauptstädte eroberter Länder waren mit kleinen Fähnchen markiert. Daut sah sofort, dass es neue Nadeln gab. Rote. Im Osten. In Russland.
    »Schau, Papa! Endlich gibt es Nachrichten aus dem Osten. Unglaublich, wie weit wir schon vorgerückt sind. Blitzkrieg eben. Wie gegen Frankreich. Weihnachten sind unsere Soldaten wieder daheim, sagt Studienrat Röder.«
    Studienrat Röder war Werners Erdkundelehrer. Parteimitglied wie er selbst, dachte Daut resigniert. Er fuhr Walter übers Haar.
    »Na, der muss es ja wissen! Aber jetzt ab ins Bett. Jetzt wird geschlafen.«
    »Und wenn es noch mal Alarm gibt?«
    »Gibt es nicht, mein Junge. Die Flieger sind längst in England.«
    »Nicht alle, Papa, ganz sicher nicht alle. Die meisten hat garantiert unsere Flak erledigt.«
    Walter ließ seine rechte Hand, mit weit gestreckten Fingern ein Flugzeug imitierend, durch die Luft fliegen, während die linke Hand eine Flakkanone darstellte.
    »Ratttatttatttattta, ratttatttatttattta!«
    Die rechte Hand zitterte auf und nieder.
    »Huiiiiiiiiiiiiiiiii!«
    Walter ging in die Knie und klatschte die Hand auf den Boden.
    »Volltreffer«, sagte er und schaute begeistert zu seinem Vater auf, der ihn mit zu einem schmalen Strich zusammengepressten Lippen ansah.
    »Jetzt geh schlafen, mein Junge. Morgen ist auch noch ein Tag.«
    In der Tür des Kinderzimmers stieß Daut fast mit Luise zusammen, die die schlafende Else auf dem Arm trug. Was für eine glückliche Familie könnten wir sein, wenn die Zeiten friedlich wären, dachte Daut.
    Luise hatte eine Flasche Bier auf den Küchentisch gestellt. Wann war das zuletzt vorgekommen? Normalerweise war sie dagegen, dass überhaupt Bier im Haus war. Er sollte daheim nicht trinken. Allenfalls ein Glas Mosel zum Essen an Festtagen, aber kein Bier und keinen Fusel. Daut öffnete den Bügelverschluss
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher