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Cleopatra

Cleopatra

Titel: Cleopatra
Autoren: Felix Thijssen
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sah immer schick aus, sorgfältig frisiert, raffiniert, aber dezent geschminkt – mit der stilsicheren Eleganz, die das Geheimnis alter Familien ist. Sie war fünfzehn Jahre jünger als der Minister und ein Spross der van Staveren de Waels, die in früheren Jahrhunderten halb Brabant ihr Eigen nannten, aber nach meinen Informationen ihr Vermögen bis auf ein verfallenes Landhaus während der Depression in den dreißiger Jahren verloren hatten.
    Sie trug einen perlgrauen Rock und dazu eine etwas dunklere Bluse. In ihrem aschblonden Haar sah ich dagegen keine Spur von Grau. Sie war die Art von Dame, vor der man unwillkürlich eine leichte Verbeugung macht, wenn man sich ihr vorstellt, doch sie ließ ein Lachen ertönen und wehrte die Formalitäten ab.
    »Kommissar Winter«, sagte sie. »Sie sind nur ein klein wenig älter geworden. Wie wir alle.«
    Ich hatte die Hand schon in die Innentasche gesteckt, um den Ausweis der Firma hervorzuholen, zog sie aber schnell wieder heraus. Ihr Irrtum bot mir die unerwartete Gelegenheit, unangenehme Fragen zu stellen, ohne sofort hinausgeworfen zu werden.
    »Sie haben ein fantastisches Gedächtnis«, sagte ich rasch.
    Sie lächelte. Sie hatte einen wunderschönen Mund mit vollen Lippen und ich bemerkte, dass ihre Nase ein klein wenig schief stand. Vielleicht kamen die Falten um ihre strahlend blauen Augen vom Lachen. Sie musste um die fünfzig sein, doch sie besaß einen Körper, den man als Mann gerne ansah; ich fand ihn unerwartet sinnlich. Die elfenbeinfarbene Haut ihres Gesichts wirkte, als komme sie noch jahrelang ohne kosmetische Chirurgie aus, und die glatten Wölbungen im Ausschnitt ihrer Seidenbluse schufen die Illusion gesunder Fülle. Vielleicht ging sie wandern oder betrieb einen anderen Sport. Aber auf jeden Fall spielte sie nicht Tennis.
    »Haben Sie den Täter damals gefasst?«
    »Ja, zwei Tage später. Unter der Hotelbelegschaft befand sich ein Komplize.«
    Anlässlich einer Europa-Konferenz hatte sie sich zusammen mit ihrem Mann in Amsterdam aufgehalten und war als Zeugin verhört worden, weil sie im Hotel gewesen war, als sich eine gerissene französische Hoteldiebin in der Suite des portugiesischen Ministers bedient hatte. Helene Cleveringa hatte mich beeindruckt, weil sie als Einzige aus dem diplomatischen Publikum bereit gewesen war, Fragen zu beantworten, ohne sich hinter Sprechern, Sicherheitsdiensten oder diplomatischer Immunität zu verschanzen. Es wunderte mich, dass sie sich an den Fall erinnerte.
    »Ich verstehe nur nicht, warum Sie heute hier sind.« Das Lächeln war aus ihrem Gesicht verschwunden. Ich nahm den Stuhl, den sie mir mit einer vagen Geste anbot. Sie hatte eine schöne Altstimme. Sie blieb stehen. »Ich dachte, wir hätten inzwischen genug Kriminalbeamte im Haus gehabt.«
    »Ich wurde gebeten, einen ganz bestimmten Aspekt des Falls zu untersuchen«, deutete ich an.
    »Einen bestimmten Aspekt?«
    Ich dachte daran, wieder aufzustehen, weil ich es nicht mag, in einem tiefen Sessel zu sitzen, während eine Dame steht, und schon gar nicht diese Dame. Mir kam der Gedanke, dass sie es vielleicht mit Absicht tat. Das störte mich ein wenig.
    »Damals sagten Sie, die Beantwortung meiner Fragen sei wahrscheinlich die beste Methode, mich möglichst schnell wieder loszuwerden.«
    Sie stand einen Moment lang still da, als überlege sie, ob sie meine Frechheit einfach übergehen solle. »Auch Sie haben also ein gutes Gedächtnis«, sagte sie. »Aber ich glaube nicht, dass das in diesem Fall dasselbe ist. Möchten Sie Kaffee oder vielleicht Tee?«
    »Nein, vielen Dank. Möchten Sie sich nicht setzen?«
    Sie nahm auf der anderen Seite des niedrigen Wohnzimmertisches Platz. Louis XV, Biedermeier – ich habe keine Ahnung von Antiquitäten. Ich wundere mich nur immer darüber, welchen Preis die Leute dafür zahlen, um ungemütlich zu sitzen.
    »Ein bestimmter Aspekt?«, fragte sie. »Und auf wessen Bitte hin?«
    »Der Staatsanwalt …«
    Im ganzen Land wurde Meulendijk noch immer ›der Staatsanwalt‹ genannt, etwa so, wie man pensionierte Generale weiterhin mit ihrem Rang anspricht und Cleveringa ›der Minister« blieb. Offiziell konnte es natürlich nicht angehen, dass die Mitarbeiter von Meulendijks Firma diese Tatsache ausnutzten, indem sie das ›Ex‹ vor seiner früheren Funktion einfach wegließen. Doch sie taten es trotzdem, weil es Vertrauen erweckte und Türen öffnete. Jeder erinnerte sich an Meulendijk wegen des Medienzirkus, der vor sechs
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