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Cleopatra

Cleopatra

Titel: Cleopatra
Autoren: Felix Thijssen
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sich aufs Sofa.
    »Als seien sie gar nicht bei sich?«
    »Ja, so in der Art.«
    »Er hat noch versucht, Ihre Großmutter anzurufen.«
    Einen Augenblick lang wirkte sie zehn Jahre jünger – und verletzlicher. »Warum?«
    »Um sie um Vergebung zu bitten.«
    »Ein bisschen spät.« Der Moment der Schwäche war schon wieder vorüber und sie gab einen höhnischen Laut von sich. Lonneke wusste genau, was sie wollte.
    »Befand sich die Jagdwaffe in seinem Arbeitszimmer?«
    »Ich habe sie ihm nicht gebracht«, antwortete sie spöttisch. »Vielleicht hatte er sie immer in Reichweite.«
    »Er ist Ihr Vater«, murmelte ich. »Er ist tot.«
    Sie schaute mich an und machte eine Pause, als wolle sie Atem schöpfen. »Was hätte ich denn tun sollen?«, fragte sie. »Sollte ich warten, bis sie kommen, um ihn zu verhaften? Bis er für den Rest seines Lebens hinter Gitter wandert?«
    Ich konnte mir die Frage nicht verkneifen: »Aber genau das wollte Ihre Mutter doch erreichen?«
    Lonnekes Gesichtsausdruck wurde angespannt. »Ich hatte gedacht, Sie würden das meiste begreifen«, sagte sie dann. »Das hier ist etwas, das vorübergeht. Das andere dagegen wird nie vorübergehen.«
    Sie ähnelte beiden Elternteilen. Sie besaß die Veranlagung zur verbissenen Obsession wie ihre Mutter und den Sinn für Pragmatismus ihres Vater. Ich dachte an Hans Metz. Von mir würde sie nicht erfahren, dass sie einen Halbbruder hatte. Was mich betraf, sollte sie das ruhig erst in der kalten Atmosphäre eines Gerichtssaals zu hören bekommen, wenn die Geschichte in allen Einzelheiten erörtert wurde. Wenn sie ihren Halbbruder nicht in ihrem Leben gebrauchen konnte, würde sie sich vielleicht entscheiden, ihn einfach zu verdrängen, genauso, wie sie eines Tages verdrängen würde, dass ihr Vater Selbstmord begangen hatte, und genauso, wie ihr Vater den Mord an seiner Frau irgendwo im tiefen Keller seines Gedächtnisses begraben hatte.
    Lonneke würde immer auf den Füßen landen. Trotzdem musste ich auch an die junge Frau denken, die sich auf der Brücke an mich geklammert und mir versichert hatte, sie sei nicht so kalt und selbstsicher, wie ich vielleicht denken mochte. Ich verspürte Mitleid mit ihr, weil sie genauso einsam war wie ihre Mutter.
    Wir hörten Autos ankommen und Türen schlagen.
    Ich stand auf. »Sie ähneln Ihrer Mutter«, sagte ich.
    Sie schaute mich überrascht an. »Danke.«
    Ich eilte zur Haustür. Männer stiegen aus Autos und einem geschlossenen Kleinbus. Betty und Tom waren auch dabei.
    Bremer gab mir ein Zeichen, zu ihm nach draußen zu kommen. Er ging vor, bis wir uns auf halbem Weg zwischen Haus und Eingangstor befanden. Ich schaute die Bäume an und mir wurde bewusst, dass ich von hier aus den Tennisplatz hätte sehen können, wenn es nicht so dunkel gewesen wäre. Aus dem stattlichen Gebäude fiel genügend Licht nach draußen, so dass ich Bremers gerunzelte Stirn erkennen konnte.
    »Hatten Sie das beabsichtigt?«, fragte er.
    Ich schüttelte den Kopf. »Mir ist jemand zuvorgekommen.«
    Er fragte mich nicht, wen ich meinte. Schließlich erfahren Staatsanwälte ganz von selbst, was sie wissen wollen. »Scholte wurde verhaftet«, sagte er. »Henkelman auch.« »Es lief also alles nach Plan?«
    »Ja, alles in Ordnung.« Er nickte zum Haus hinüber. »Ich kann nicht behaupten, dass ich über diesen Vorfall besonders traurig bin.«
    »Das erspart allen eine Menge unerfreulichen Theaters«, sagte ich, bitterer, als meine Absicht gewesen war.
    Er schaute mich nachdenklich an und sagte: »So ist es nun mal im Leben, junger Mann.«
    Ich tippte grüßend mit meiner Hand an eine imaginäre Polizeimütze und ging zu meinem Auto.
     
     
     
 
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