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Claudius Bombarnac

Claudius Bombarnac

Titel: Claudius Bombarnac
Autoren: Jules Verne
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….
    Doch nein! Wenn dieser Kasten ankommt, wird er leer sein, gleich einem Herzen, aus dem jeder Blutstropfen entflohen ist.
    Ich verlasse das »Hôtel der Zehntausend Träume« um elf Uhr, winke mir einen jener chinesischen Wagen heran, die mehr einer auf Räder gesetzten Sänfte gleichen, gebe die Adresse des Fräulein Zinca Klork an – und nun bin ich zu ihr auf dem Wege.
    Von den achtzehn Provinzen Chinas ist bekanntlich die Provinz Petchili die nördlichst gelegene. Aus neun Kreisen bestehend, hat sie Peking zur Hauptstadt, das frühere Chim-Kin-Fo, eine Bezeichnung, die »dem Himmel gehorchende Stadt ersten Ranges« bedeutet.
    Ich weiß nicht, ob diese Stadt jemals dem Himmel besonders unterthan war, dagegen aber, daß sie den Gesetzen der gradlinigen Geometrie gehorcht. Sie besteht aus vier quadratischen oder doch rechtwinkligen Einzelstädten: der Chinesenstadt, die die Tatarenstadt, die wiederum die Gelbe Stadt oder Hung-Tching, welch’ letztere endlich die Rothe Stadt oder Tseu-Kai-Tching, d.h. die »verbotene Stadt«, umschließt.
    In diesem Gesammtgebiete von über vierundzwanzig Kilometer Umfang zählt man zwei Millionen Bewohner, Tataren oder Chinesen, die als »die Germanen des Orients« bezeichnet werden, und daneben einige Tausend Mongolen und Tibetaner.
    Daß auf den Straßen ein sehr lebhafter Verkehr herrscht, erkenne ich an den Hindernissen, die meinen Wagen bei jeder Radumdrehung aufhalten. Da wimmelt es überall von wandernden Händlern, schwerbelasteten Karren und von Mandarinen mit lärmendem Gefolge. Dabei rede ich noch gar nicht von den herrenlosen Hunden, die halb Wölfen, halb Schakals gleichen, zottiges Haar, bedrohliche Augen und furchtbare Zähne haben, sich nur von zahlreichen Abfällen nähren und vorzüglich die Fremden in Schrecken setzen. Zum Glück bin ich nicht zu Fuß, habe in der Rothen Stadt, die man nicht durchqueren darf, nichts zu schaffen, und brauche mich auch weder in die Gelbe noch in die Tatarenstadt zu wagen.
    Die chinesische Stadt bildet ein rechtwinkliges Parallelogramm, das von Norden nach Süden durch die vom Thore Hung-Ting bis zum Thore Tien reichende Große Allee getheilt und von Westen nach Osten von der Cha-Chua-Alleestraße durchschnitten wird, die sich vom gleichnamigen Thore bis zum Thore Chuan-Tsa erstreckt. Bei dieser einfachen Anordnung ist es sehr leicht, die Wohnung des Fräulein Zinca Klork zu finden, bei dem Straßengewühle hier aber freilich schwierig, sich dahin zu begeben.
    Endlich, kurz vor Mittag, gelange ich ans Ziel. Der Wagen hält vor einem Hause mit bescheidenem Aeußern, das von kleineren Handwerkern und, wie ein Schild daran erkennen läßt, meist von Fremden bewohnt wird.
    In der ersten Etage, mit den Fenstern nach der Straße zu, siedelt die junge Rumänin, die, wie früher erwähnt, in Paris als Putzmacherin gelernt hat, jetzt dieses Geschäft in Peking betreiben will und sich auch schon einiger Kundschaft erfreut.
    Ich steige nach dem ersten Stockwerke hinaus. An einer Thür les’ ich den Namen Zinca Klork. Ich klopfe. Man öffnet.
     

    Ich gebe die Adresse des Fräulein Zinca Klork an. (S. 262.)
     
    Da steh’ ich denn vor einem wirklich reizenden Mädchen, ganz wie Kinko gesagt hat. Es ist eine Blondine von zwei-bis dreiundzwanzig Jahren, mit den dunkeln Gluthangen der Rumänen, von schönem Wuchs und mit einnehmenden, freundlichen Zügen. Wär’ es ihr unbekannt geblieben, daß der fällige Zug der Groß-Transasiatischen Bahn trotz der Hindernisse während der Fahrt gestern Nachmittag in Peking eingelaufen ist, und erwartet sie denn nicht ihren Verlobten von Minute zu Minute? Und ich … ich soll nun mit einem einzigen Worte diese Freude dämpfen, dieses Lächeln auslöschen ….
     

    Die unglückliche Zinca sinkt auf einen Stuhl. (S. 267.)
     
    Fräulein Zinca Klork ist höchst verwundert, einen Fremdling ihre Schwelle überschreiten zu sehen. Da sie mehrere Jahre in Frankreich gelebt hat, erkennt sie in mir sofort den Franzosen und fragt, was ihr die Ehre meines Besuches verschaffe.
    Ich muß meine Zunge hüten, denn ich riskire sonst, das arme Kind auf der Stelle zu tödten.
    »Fräulein Zinca … beginne ich zögernd.
    – Wie, Sie kennen meinen Namen? ruft sie.
    – Ja, mein Fräulein; ich bin gestern mit dem Zuge der Groß-Transasiatischen Bahn eingetroffen ….«
    Das junge Mädchen erbleicht, ihre schönen Augen verschleiern sich. Offenbar hat sie vor etwas Angst, wahrscheinlich, ob wohl Kinko in seinem Kasten
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