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Clark Mary Higgins

Clark Mary Higgins

Titel: Clark Mary Higgins
Autoren: Schlaf Wohl Mein Sußes Kind
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daß man
ihre Leiche gefunden hatte.
    Bei seinem Eintreffen am Ort hielt ein Polizeikordon die
Neugierigen und Sensationslüsternen zurück. Auch die Reporter
waren bereits da. Er erinnerte sich, wie die Blitzlichter ihn geblendet hatten, als er auf die Stelle zuging, wo sie lag. Herb
Schwartz, sein Stellvertreter, stand dort und flehte ihn an:
»Schau sie dir nicht an, Myles.«
    Er hatte Herbs Arm abgeschüttelt und war niedergekniet, um
die Decke, die sie über sie gebreitet hatten, zurückzuschlagen.
Sie sah aus, als ob sie schliefe. Ihr Gesicht war auch im Tod
noch schön, voller Frieden, und zeigte keinen Ausdruck des Entsetzens, den er so oft in den Gesichtern von Mordopfern gesehen
hatte. Ihre Augen waren geschlossen. Hatte sie sie selber in ihrem letzten Augenblick zugemacht oder hatte Herb es getan?
Zuerst dachte er, sie trüge einen roten Schal. Irrtum. Er war ein
abgehärteter Betrachter von Opfern, doch jetzt ließ ihn seine
Berufserfahrung im Stich. Er wollte nicht sehen, daß jemand ihr
die Halsschlagader in ihrer ganzen Länge aufgeschlitzt und dann
die Kehle durchgeschnitten hatte. Der Kragen ihrer weißen Skijacke hatte sich von ihrem Blut rot gefärbt. Die Kapuze war
nach hinten geglitten, und ihr Gesicht war eingerahmt von der
Fülle ihres pechschwarzen Haares. Ihre roten Skihosen, ihr rotes
Blut, die weiße Jacke und der gefrorene Schnee unter ihrem
Körper – noch im Tod sah sie aus wie ein Modefoto.
    Er hätte sie am liebsten an sich gedrückt, ihr Leben einhauchen wollen; aber er wußte, daß er sie nicht bewegen durfte. Er
mußte sich damit begnügen, ihre Wangen, ihre Augen und ihre
Lippen zu küssen. Seine Hand strich sanft über ihren Hals und
wurde rot von ihrem Blut. In Blut sind wir uns begegnet, dachte
er, und in Blut gehen wir voneinander.
    Am Tag des Angriffs auf Pearl Harbor war er ein einundzwanzigjähriger Polizeirekrut gewesen, und am darauffolgenden
Morgen hatte er sich bei der Armee gemeldet. Drei Jahre später
war er mit General Clarks Fünfter Armee bei den Kämpfen um
Italien dabei. Stadt für Stadt hatten sie eingenommen. In Pontici
war er in eine scheinbar verlassene Kirche gegangen. Im nächsten Augenblick hatte er eine Explosion gehört, und aus seiner
Stirn war Blut gequollen. Blitzartig hatte er sich umgedreht und
einen deutschen Soldaten erblickt, der hinter dem Altar in der
Sakristei kauerte. Er konnte gerade noch auf ihn schießen, ehe er
selber in Ohnmacht fiel.
    Als er zu sich kam, spürte er, daß eine kleine Hand ihn schüttelte. »Komm mit!« flüsterte ihm eine Stimme in gebrochenem
Englisch ins Ohr. Vor lauter Schmerzen, die in seinem Kopf
hämmerten, konnte er kaum denken. Seine Augen waren verkrustet von angetrocknetem Blut. Draußen war es stockfinster. Ganz
aus der Ferne war Geschützdonner zu hören. Das Kind – irgendwie erkannte er, daß es ein Kind war – führte ihn durch ausgestorbene Gassen. Er fragte sich verwundert, wohin es ihn wohl
brachte und wieso es allein war. Er hörte das Schlurfen seiner
Stiefel auf den Steinstufen, das Knarren einer sich öffnenden Tür,
dann ein eindringliches, rasches Flüstern, die Erklärung des kleinen Mädchens. Jetzt sprach sie italienisch. Er verstand nicht, was
sie sagte. Dann spürte er einen Arm, der ihn stützte und ihm half,
sich auf ein Bett zu legen. Er verlor das Bewußtsein, kam zwischendurch wieder zu sich und merkte, daß sanfte Hände seinen
Kopf wuschen und ihm einen Verband anlegten. Das erste, woran
er sich klar erinnerte, war ein Feldarzt, der ihn untersuchte. »Sie
wissen gar nicht, was für ein Glück Sie hatten«, sagte er zu ihm.
»Wir wurden gestern zurückgeschlagen. Für diejenigen, die den
Rückzug nicht schafften, war es eine schlimme Sache.«
    Nach dem Krieg hatte Myles die Gelegenheit ergriffen, die
ihm dank der Stipendien für die GIs geboten wurde, und studiert. Sein Vater, Captain bei der New Yorker Polizei, war skeptisch gewesen. »Wir hatten schon Mühe, dich durch die Oberschule zu bringen«, bemerkte er. »Dabei fehlte es dir, weiß Gott,
nicht an Verstand, aber du hattest nie Lust, die Nase in Bücher
zu stecken.«
    Als Myles sein erstes Examen mit Auszeichnung bestand, war
sein Vater entzückt gewesen, warnte ihn aber dennoch: »Du hast
einen Polizisten in dir. Den vergiß nicht, wenn du all deine
schönen Titel bekommst.«
Er hatte Jura studiert, ein Praktikum beim Bezirksgericht absolviert und dann eine eigene Anwaltspraxis
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