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Clarissa Alaska-Saga 04 - Allein durch die Wildnis

Clarissa Alaska-Saga 04 - Allein durch die Wildnis

Titel: Clarissa Alaska-Saga 04 - Allein durch die Wildnis
Autoren: Christopher Ross
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schussbereit in den Händen, als er die Hütte erreichte, und auch Clarissa hielt den Revolver in ihrer Anoraktasche umklammert. Das Weinen klang jetzt lauter, war in der Stille, die selbst auf dem Pass herrschte, deutlich zu hören.
    »Warten Sie!«, flüsterte Clarissa. Bevor Angus etwas einwenden konnte, tastete sie sich zum Fenster vor und blickte in die Hütte. Eine Indianerin, ungefähr zehn Jahre älter als sie, saß auf einem Stuhl neben dem bullernden Ofen und hielt ein Baby in den Armen. »Emily!«, flüsterte sie ergriffen. Wie bezaubernd ihre Tochter war … und wie zart und zerbrechlich.
    Dezba sah nicht wie eine Hexe aus. Sie trug ein schwarzes Kleid, wie es weiße Frauen trugen, wenn sie trauerten, aber weder einen Umhang aus Eulenfedern noch eine Kappe aus dem Fell eines schwarzen Wolfs. Und ihr Gesicht war auch nicht mit schwarzer Farbe bemalt. Sie wirkte überhaupt nicht böse, eher wie eine unglückliche Mutter, die unter irgendeinem Kummer litt.
    »Ma’am!«, flüsterte Angus hinter ihr.
    »Ich gehe allein rein«, erwiderte sie entschieden. Sie schnallte ihre Schneeschuhe ab und ging zur Tür, klopfte zweimal kurz und trat ein. Während sie die Tür leise schloss, drehte sie sich nach der angeblichen Hexe um und sah an ihrer erstaunten Miene, dass Dezba sie erkannte. »Ich bin Clarissa Carmack«, sagte sie dennoch. »Ich bin gekommen, um meine Tochter zu holen.«
    Dezba reagierte nicht auf ihre Worte, blieb stumm auf ihrem Stuhl sitzen und schaukelte das Baby wie eine fürsorgliche Mutter. Außer dem Ofen und dem Stuhl, auf dem sie saß, gab es nur einen Tisch und eine baufällige Kommode in der Hütte, das Nachtlager der Indianerin und des Kindes bestand aus einer zerfledderten Matratze vor der rückwärtigen Wand. Neben ihrem Stuhl lehnte ein Rucksack, in dem Dezba anscheinend ihre Vorräte aufbewahrte.
    »Du bist Dezba«, stellte Clarissa nüchtern fest. Sie war von einer seltsamen Ruhe erfüllt und hatte nicht die geringste Angst vor der angeblichen Hexe. »Man sagt, dass du eine Hexe bist, die unschuldige Babys entführt und tötet.« Sie ließ die Worte einige Zeit wirken. »Mein Baby wirst du nicht töten, Dezba! Du hast mir bei der Geburt geholfen, wofür ich dir sehr dankbar bin, aber dann hast du mein Baby gestohlen. Ich werde nicht zulassen, dass du ihm etwas antust. Gib mir meine Tochter zurück, Dezba! Am Fenster steht ein Mann, der sofort schießen würde, wenn du versuchen würdest, ihr etwas anzutun, also gib sie mir zurück, bevor ich selbst nach meiner Waffe greife.«
    Dezba wirkte seltsam abweisend, als würde Clarissa von etwas erzählen, das viele Jahrzehnte zurücklag. »Ich bin keine Hexe mehr«, sagte sie. Wie die meisten Indianer in Alaska hatte sie ihr beinahe perfektes, aber etwas altmodisches Englisch auf einer Missionsschule gelernt. »Ich habe den Umhang aus Eulenfedern und die Fellkappe verbrannt und mir die schwarze Farbe vom Gesicht gewaschen. Ich will keine Rache mehr. Wenn du nicht gekommen wärst, hätte ich dir deine Tochter selbst zurückgebracht. Sie will nichts essen und nichts trinken, und ihr Weinen sagt mir, dass sie zu ihrer Mutter will.«
    »Und die Kinder, die du entführt und getötet hast?«
    Dezba hob den Kopf und blickte sie an. Der aufrichtige Ausdruck in ihren Augen verriet Clarissa, dass sie die Wahrheit sagte. »Vor zehn Jahren hatte ich selbst eine Tochter«, berichtete sie, »ein Kind, das ich von ganzem Herzen liebte. Weil ich wollte, dass sie sich in der Welt des weißen Mannes zurechtfand, wenn sie einmal größer war, schickte ich sie nicht auf die Missionsschule, sondern in ein Internat im Osten, in dem unsere Kinder angeblich das lernten, was für das Leben in der anderen Welt wichtig war. Erst als es zu spät war, erfuhr ich, was dort wirklich passierte. Man schnitt ihr die Haare mit einer großen Schere ab, obwohl sie besonders schöne Haare hatte und sie lieber lang getragen hätte. Sie bekam Prügel, wenn sie in unserer Sprache mit den anderen Kindern sprach, eine der alten Geschichten vortrug oder eines der alten Lieder sang. Sie durfte nicht einmal von ihren Eltern erzählen, und dass ihr Vater an einer Krankheit des weißen Mannes gestorben war. Das stand alles in dem Brief, den mir eine ihrer Freundinnen zusteckte, als ich in der Schule war.« Sie senkte den Blick und begann zu weinen. »Das Eis auf dem Yukon war gerade aufgebrochen, als ich einen Brief von der Schule erhielt. Meine Tochter hatte sich umgebracht. Ich brach
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