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Clara

Clara

Titel: Clara
Autoren: Michael Koller
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Granitsteinen gemauerten Kellerraum, brachte kleine, mit starkem
Plexiglas verkleidete Webcams darin an und lebte mein
bedauernswertes Leben abseits der werkreichen Wochenenden weiter. Bis zu dem
Tag, als dieses Gesicht am Bildschirm erschien und sich in meine Seele brannte.

 
    2

 
    Ich machte
meinen Computer an und stieg ins Internet ein. Seit Wochen tat ich in meiner
Freizeit kaum etwas anderes. Das Netz war eine echte Fundgrube. Hier blieb
wirklich nichts verborgen. Und schon gar nicht Clara Bergmann, die nach
Öffentlichkeit lechzte und immer öfter ins Fadenkreuz der Klatschreporter
geriet. Je mehr ich sie kennen lernte oder zumindest kennen zu lernen schien,
desto mehr trank ich. Und desto mehr stauten meine Wut, mein ganzer Zorn sich
auf, der sich auf diese eine Person projizierte. All die Berichte über ihr
ausschweifendes Leben. All die Fotos mit ständig wechselnden Begleitungen. Mit
diesem arroganten Blick bei den abendlichen Amüsements jenseits jeglicher
Realität. Ihr ganzes Leben, ihre ganze Existenz schien eine endlose Party, eine
endlose Verschwendung zu sein.
    Auf meinen
Streifzügen durch die virtuelle Welt wurde ich ein wahrer Experte für die
gesellschaftliche Dekadenz in diesem Land. Wer mit wem, wo, wann, wie, warum,
wie viel. Der Markt war voll davon und verlangte ständig nach neuen
Sensationen. Die Nachfrage schien endlos. Die Nachfrage einsamer Menschen, die
über solche Personen ein Zweitleben führten. War ich etwa auch einer davon?
Nun, gewiss nicht. Was mich interessierte, war Clara, alles andere war Beiwerk.
Und selbst Clara interessierte mich nicht wirklich. Nur der Drang, sie zu
bestrafen. Ihr ganzes unwürdiges Wesen, ihr ganzes nutzloses, ignorantes Sein
zu offenbaren. Ganz besonders aufschlussreich war ihre eigene Website. Hier
blieb dem geneigten Betrachter kaum ein Detail verborgen. Akribisch wurde jedes
Ereignis, bei dem sie eine Rolle gespielt hatte, durchleuchtet und mit bunten
Bildern dokumentiert. Hier ein Ball, dort eine Eröffnung. Hier eine Gala, dort
eine Party. Stets umrahmt vom erlauchten Kreis derer, die sich mit Banknoten
ihre teuren Havannas anzündeten und im Dom Perignon zu baden pflegten. Sogar ein Terminkalender für Presse und Fernsehen war online
gestellt. Clara Bergmann, der gläserne Mensch.
    Einige
Artikel in der Boulevardpresse befassten sich mit diesem Thema und zeigten sich
besorgt über die Offenheit vieler junger Damen, die die Gefahren einer derart
aggressiven Zurschaustellung stark unterschätzten. Natürlich wiesen sie im
selben Atemzug auf die kommenden Auftritte besagter Mädchen hin. Ja, die
Scheinheiligkeit der Medien faszinierte mich. Jeder wichtige Mord wurde in den
Redaktionen überschwänglich gefeiert, jede Katastrophe mit einem Festbankett
bedacht. Die Maske der Betroffenheit saß nun einmal nicht immer sehr fest. Was
zählte, waren möglichst schlechte Nachrichten, hohe Auflagezahlen oder
zweistellige Einschaltquoten. Das Diktat des Markts beherrschte alles. Und
Rädchen wie Clara Bergmann hielten diese Philosophie am Laufen. Ich schloss das
Fenster zu Claras Website. Neues hatte ich heute nicht erfahren. Aber was gab
es noch zu ergründen? Nur noch eines. Ich wollte sie in Fleisch und Blut sehen,
abseits eines toten Bildschirmes. Nur so konnte ich meinen Entschluss festigen.
Oder ihn verwerfen.

 
    3

 
    Ich schritt
noch einmal die Absperrgitter entlang. Die Barrieren, die noch vor einer Stunde
den Zaun bildeten.
    Es war
Samstagnacht. Die Wiener Nobeldiskothek »C3« lag vor mir. Wie ein Irrgarten,
dessen Zutritt ich niemals erreichen würde. Hunderte von Menschen hatten sich
ums Portal gedrängt. Hatten versucht, ins Innere des Heiligtums vorzudringen.
Hatten gejubelt, als die Übermenschen an ihnen vorbeigeschritten waren. Die abgewiesenen Massen hatten sich nach diesen glorreichen Auftritten
langsam verloren, und übrig blieb allein ich, der weiterhin am hinteren Ende
der Absperrung stand. Dort, wo ich vor Stunden im Schutze kreischender Teenager
auf einen Körper blickte, der mich elektrisierte. Die Makellosigkeit, mit der
sie aus dem vorgefahrenen Wagen stieg und jenseits der Absperrungen posierte. Ach,
allein, wie sie das Auto verlassen hatte. Zuerst rechtes Bein, dann linkes.
Dann dieser unendlich sexy Griff in den Schritt und die beiden Arme, die wie
durch Zauberhand einen Menschen zum Vorschein brachten, der noch aufregender
war als ein Orgasmus.
    Aber ebenso
schnell der Glanz gekommen war, verschwand er auch wieder.
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