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Clara

Clara

Titel: Clara
Autoren: Michael Koller
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hatte sie entführt. Daran gab es keinen Zweifel. Mit fester Stimme begann
sie zu sprechen.
    »Ich weiß,
dass Sie mich hören. Welche Forderungen stellen Sie? Mein Vater wird bestimmt
darauf eingehen !«
    Nichts. Sie
versuchte es weiter. Unterdrückte ihre Angst und versuchte, stark zu sein. Hier
galt es, am Leben zu bleiben. So viel war jetzt schon klar. Aber wie? Es gab
keine Reaktionen, keinerlei Bereitschaft, mit ihr zu kommunizieren. Wollte man
sie hier etwa sterben lassen? Aus reinem Spaß? Doch bevor sie noch weiter in
ihre Überlegungen eindringen konnte, ging plötzlich das Licht an. Ein grelles,
gelbes, unerträgliches Licht. Sie warf sich zu Boden und versuchte, sich, so
gut es ging, davor abzuschirmen. Schrittweise ließ sie mehr davon durch ihre
schützenden Hände auf ihre Augen fallen. Dann erhob sie sich und begann, sich
umzusehen.
    Ja, sie
hatte recht gehabt. Das war ein Gefängnis. Ein schweres Gitter trennte ihre
Zelle von einem schmäleren Gang, der eine kleine Ausbuchtung in der Mitte besaß
und mit einer Eisentür sein Ende fand. Dann drehte sie sich um und betrachtete
ihr Verlies. Ein mit Eisenrohren zusammengeschweißtes Bettgestell befand sich
neben der durch die Gitterstäbe getrennten Tür. Gegen den Uhrzeigersinn schaute
sie weiter. In der Ecke stand eine Behelfstoilette, die mit einem
Plastikvorhang abgeschirmt werden konnte. Auf einem Tischchen stand eine mit
Wasser befüllte Blechwanne. Darüber hing ein Spiegel, darunter befanden sich
zwei durchsichtige Wasserbehälter. Sollte sie sich etwa hier waschen? In
Gegenwart zweier eingebetteter Kameras, die sie bereits an der Decke erblickt
hatte. Gegenüber der abgetrennten Wandausbuchtung stand ein kleiner Kleiderschrank, davor ein Tisch und ein Stuhl. Direkt daneben ein
weiterer, etwas niedrigerer Kasten.
    In der
zweiten Mauerecke schließlich eine kleine Anrichte mit einem alten Fernseher
und einem noch älteren DVD-Player darunter. Vis-à-vis
dem Bett war ein wuchtiger, safeähnlicher Schrank mit einem klobigen Schlüssel
daran. Das Wort »Überleben« war darauf mit schlampiger Schrift gepinselt. Links
davon endete dieses spartanische Abteil mit einer Gittertür, die wieder auf den
Gang führte. Instinktiv stürzte Clara zu jenem Tor, drückte und zerrte an der
ehernen Klinke. Aber nichts rührte sich. Zu massiv war hier alles gebaut. Ohne
Schlüssel war ein Entkommen unmöglich. Verzweifelt rüttelte sie an den Stäben
und ließ erst, als die Kräfte langsam schwanden, davon ab. Sie musste
vernünftig bleiben, rational denken. Immer wieder betete sie sich das vor. Und
immer wieder warf sie diesen Entschluss selbst über Bord. Zu bizarr, zu
unwirklich kam ihr all das vor. Sie öffnete den versperrten Schrank. Einige
Konserven befanden sich darin. Und Beutel mit Trockengerichten. Wasserflaschen
und ein Gaskocher samt Kartuschen. Ein Feuerzeug. Na prima. Auch noch selbst
kochen.
    Clara ging
zum Kleiderkasten. Zwei pinkfarbene Jogginganzüge lagen darin. Sehr ordinär.
Damenunterwäsche von der Stange. Pantoffeln. Erst jetzt wurde ihr ihre eigene
Bekleidung bewusst. Ihre Garderobe wirkte in diesem Ambiente befremdlich.
Unpassend. Beinahe lächerlich. Aber sie musste Würde bewahren. Schließlich kam
sie aus höchsten Kreisen. Bewundert und verehrt von Tausenden.
    Sie ging zum
Tisch und erblickte ein schmales, mit dem Wort »Clara« beschriftetes Kuvert.
Sicherlich die Lösegeldbedingungen. Sie riss den Umschlag auf und hatte dabei
bereits einiges von ihrem Ego wiedergewonnen . In
ihrer Welt gab es keine Bedrohungen. Kein Schicksal, keine Menschlichkeit,
keinen Tod. Nur Geld, Belustigung und Spaß. Sie begann zu lesen. Und je mehr
sie las, desto mehr schwand dieses Ego wieder.

 
    3

 
    »Zu Beginn
einige grundsätzliche Anmerkungen. Sie befinden sich in einem abgelegenen
Kellerraum. Also geben Sie sich keine Mühe, irgendwie auf sich aufmerksam zu
machen. Es ist vergebens. Sollte ich bei meinen unregelmäßigen Beobachtungen
jedoch ungebührliche Verhaltensweisen Ihrerseits feststellen, werde ich diese
umgehend sanktionieren. Also seien Sie ein braves Mädchen, und benehmen Sie
sich. Weiters setze ich Sie darüber in Kenntnis, dass ich Ihre
Lebensversicherung bin. Sollte mir etwas zustoßen, werden Sie
höchstwahrscheinlich niemals gefunden. Die Vorräte sind begrenzt und auf etwa
eine Woche rationiert. Also seien Sie umsichtig, und verschwenden Sie nichts.
Auch kein Wasser. Ich verstehe durchaus die Lage, in der Sie sich ab
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