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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis
Autoren: Tarek Siddiqui
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investiert, alles war peinlich sauber und gepflegt, obschon das Fahrzeug selbst nicht mehr das neueste Modell war.
    Die Wache war eine kleine Welt fü r sich, und ich merkte bald, dass es einige Unterschiede zu meinem früherer Wirkungsort gab. Damals waren wir mit wenigen Ausnahmen Zivildienstleistende und durchaus engagiert bei der Sache, aber für uns war das alles dennoch nur eine Übergangsphase, eine Auszeit, die bald vorbei sein würde. Für Perfektionismus blieb da wenig Platz. Hier hingegen gab es zehn hauptamtliche Rettungsassistenten, die vor allem an Wochenenden von ehrenamtlichen Kräften abgelöst wurden. Der Severinsbund hatte sich das Privileg einer ständig besetzten Wache in langen Jahren aufbauen und zum Teil erkämpfen müssen. Jeder, der hier tätig war, wusste das und war stolz darauf.
    Ich gewö hnte mich weniger schnell ein als erhofft. Das hier war mehr als die bloße Fortsetzung des Zivildienstalltags: Alles war auf für mich ungewohnte Weise vollständig organisiert. Protokolle und Buchführung wurden sehr ernst genommen, es gab einen Koordinator für die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter und eine ungeschriebene Hierarchie, in der ich als Neuer, immerhin Rettungsassistent, irgendwo in der Mitte eingegliedert wurde. Nach dieser Hierarchie wurde gearbeitet, wurden Privilegien vergeben, durfte ausgesucht und verteilt werden, so als hinge irgendwo eine unsichtbare Liste, und alle waren ganz zufrieden damit.
    An der Spitze stand ü berraschenderweise ein Ehrenamtlicher, und sein Name war Jan Härting. Ehrenamtlich nur hier bei uns, im Hauptberuf in der Großstadt als Rettungsassistent tätig, und was ihn adelte, das waren seine regelmäßigen Dienste auf dem Hubschrauber. Nicht dem nur für Verlegungen zuständigen Ambulanzhubschrauber. Ein Mann für die richtig schweren Fälle. Besonnen, sympathisch, groß und schlank mit Sommersprossen und Händen, die immer nach etwas zu tasten schienen, wenn er sprach. Seine grauen Augen zwinkerten kaum jemals und vermittelten unerschütterliche Ruhe. Im Unterschied zu anderen drängte er sich nie auf mit den Geschichten der letzten Einsätze, so spektakulär sie auch sein mochten, und antwortete eher knapp, wenn er danach gefragt wurde; vergaß auch nie zu betonen, dass mindestens ein Drittel der Hubschrauberalarmierungen vorsichtshalber erfolgte und nicht besonders aufregend, wenn nicht gar überflüssig war.
    In dieser Hinsicht g ing es uns auch am Boden nicht anders. Gerade die Ehrenamtlichen, die je nach Möglichkeit zwölf oder vierundzwanzig kostbare Stunden ihres Wochenendes opferten, um für ein schmales Verpflegungsgeld eine Schicht zu übernehmen, litten mitunter schwer darunter. Metz etwa, Gerhard; trotz seiner Ehrenamtlichkeit kurioserweise als Koordinator zuständig für Auswahl, Vergütung, Beurteilung und Dienstplanung aller Kollegen, auch der hauptamtlichen. Er setzte sich ein wie kein anderer und versuchte darüber hinaus in zähem Ringen, der Zukunft etwas von ihrer Undurchsichtigkeit zu nehmen. Kritik und Konflikte ahnte er traumwandlerisch voraus und trat ihnen entgegen, noch bevor sie formuliert waren. Er wollte sich auf keinen Fall etwas vorwerfen lassen, von niemandem. Ich bin davon überzeugt, dass sein besonderes Engagement und seine manchmal mühevolle Beherrschtheit ihren Ursprung zumindest zum Teil in diesem Streben hatten, in den Augen aller untadelig zu sein.
    Zwei- oder dreimal im Jahr berief er Versammlungen ein, um Statistiken über Anzahl, Art und Verteilung der übernommenen Einsätze zu präsentieren, und das stärkte wohl seine Überzeugung, die Notfälle hätten eine bestimmte Quote zu erfüllen - vor allem, wenn er selbst im Dienst war. Als erste Amtshandlung nach Dienstantritt inspizierte er stets genauestens das Fahrtenbuch, in dem die zurückliegenden Einsätze mit Zeit, Datum und Fahrzeugbesatzung verzeichnet waren. Vor seinem geistigen Auge entstand, einer nach dem anderen, jeder einzelne Fall von neuem. Wenn unsere Funkmelder, über die die Alarmierung durch die Rettungsleitstelle üblicherweise erfolgte, stundenlang schwiegen, konnte man ihn gelegentlich erleben, wie er die wenige Meter messende Breite des Wachraums abschritt, während seine ergrauenden Locken unruhig tanzten, und er immer wütender und lauter werdend Ich lass mich hier doch nicht verarschen murmelte. Dabei verfolgte er eifersüchtig und voller Misstrauen den Funk, ob nicht vielleicht ein Einsatz in unserem Zuständigkeitsbereich an ein
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