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Chuzpe: Roman (German Edition)

Chuzpe: Roman (German Edition)

Titel: Chuzpe: Roman (German Edition)
Autoren: Lily Brett
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und Walentyna sie beobachteten. Ruth hatte den beiden grüßend zugenickt. Edek hatte aufgeblickt und sie angelächelt. Beide hatten zurückgestrahlt. Von da an, so war es Ruth erschienen, waren ihnen Zofia und Walentyna auf Schritt und Tritt gefolgt. Jedenfalls im Hotel. Sie begegneten ihnen im Aufzug, auf der Treppe, an der Rezeption, im Speisesaal und im Foyer.
    Am Abend von Edeks und Ruths zweitem Tag im Hotel Mimosa war Zofia zu ihnen gekommen und hatte sich und Walentyna vorgestellt. Zofia richtete jedes Wort, das sie sagte, an Edek. »Sie und Ihre Tochter müssen etwas mit uns trinken«, hatte sie gesagt. »Sie sehen beide aus wie sehr interessante Leute. Oder hätten Sie und Ihre Tochter vielleicht Lust, heute abend einen Spaziergang durch Krakau zu machen?« hatte sie gesagt, wieder an Edeks Adresse. »Ich und Walentyna, wir kommen aus Zoppot und sind schon seit ein paar Tagen in Krakau, und wir kennen alle schönen Stellen von Krakau.«
    Edek, der kein Freund ausgedehnter Spaziergänge war, solange sie nicht damit verbunden waren, daß man essen ging oder etwas zu essen besorgte, nickte und sah Ruth an.
    »Es wäre uns ein Vergnügen«, sagte Ruth. »Aber leider haben wir heute abend verschiedenes zu erledigen und können Sie deshalb nicht begleiten.«
    »Was ist das, was wir müssen erledigen?« fragte Edek Ruth.
    »Wir müssen unsere Fahrt nach Auschwitz besprechen«, sagte Ruth.
    »Die haben wir schon besprochen«, sagte Edek.
    Das Wort Auschwitz brachte die zwei Polinnen zum Verstummen. »Das ist ein schrecklicher Ort«, sagte Walentyna, die stillere der beiden.
    »Das weiß mein Vater«, sagte Ruth.
    »Hätten Sie vielleicht Lust, morgen mit uns spazierenzugehen?« sagte Zofia.
    Bevor Edek antworten konnte, hatte Ruth gesagt: »Das ist gut möglich« und ihren Vater am Arm ergriffen. »Auf Wiedersehen«, hatte sie gesagt und war mit ihm gegangen.
    »Auf Wiedersehen«, hatte Edek hastig und ein wenig verstört gerufen.
    »Sie sehen aus wie zwei sehr nette Frauen«, hatte Edek zu Ruth gesagt.
    »Sie sind sicher in Ordnung«, hatte Ruth geantwortet und dann das Thema gewechselt.
    Jetzt blickte Ruth zu der Frau auf dem West Broadway, auf die Edek deutete. Eine leichte Ähnlichkeit mit Zofia war zu erkennen. Mehr nicht. Diese Frau war wesentlich zierlicher. Zofia war weitaus kräftiger. Nicht dick. Nur kräftig. Sehr kräftig. Sie sah kräftig und robust aus. Zofia hatte riesige Brüste. Einen kraftvollen Händedruck. So kraftvoll wie ihr Auftreten. Die Frau auf dem West Broadway trugeinen kurzen, engen Rock. Zofia schien immer nur kurze, enge Röcke und tiefe Dekolletés zu tragen. Dekolletés, die von Tag zu Tag gewagter wirkten. Eins tiefer als das andere.
    »Warum denkst du an Zofia?« fragte Ruth Edek.
    »Ich denke nicht an Zofia«, erwiderte Edek. »Ich habe nur eben eine Frau gesehen, was mich hat erinnert an Zofia, das war alles.«
    Ruth mochte Zofia nicht. Sie fand sie zu aufdringlich. Zu anmaßend, zu dreist. Sie fand Zofia zuviel in jeder Hinsicht. Ruth mochte Zofias Freundin Walentyna lieber, die ebenfalls ein Auge auf Edek geworfen hatte, aber nicht die geringste Chance hatte neben der lauten, direkten und muskulösen Zofia, die in Zoppot, wo sie wohnte, jeden Morgen im Meer schwamm, sommers wie winters.
    Ruth fand ohnehin, daß beide Frauen zu jung für Edek waren. Sie sahen aus wie Mitte sechzig. Und Edek war Mitte achtzig. Wider Erwarten hatte Ruth am vorletzten Tag ihres und Edeks Aufenthalts in Krakau festgestellt, daß Zofia und Edek eine kurze Affäre unterhalten hatten. Nun ja, daß sie miteinander geschlafen hatten. Wahrscheinlich öfter als einmal.
    »Ich mag Ihren Vater sehr gern«, hatte Zofia zu Ruth gesagt, bevor Ruth und Edek aus Krakau abreisten. »Ich glaube, ich bin die richtige Frau für ihn.«
    Ruth hatte versucht, Zofia klarzumachen, daß sie Edek so gut wie gar nicht kannte.
    Aber Zofia war nicht davon abzubringen gewesen, daß sie ihn kannte. »Eine Frau weiß, wenn ein Mann der richtige Mann für sie ist«, hatte sie gesagt.
    »Mein lieber, lieber Edek«, sagte Zofia zu Edek, als Ruth und Edek in das Taxi stiegen, das sie zum Flughafen bringen sollte, »ich werde dich jeden Tag anrufen, bis du mich in Zoppot besuchen kommst.«
    Edek hatte gelacht. Zofia stand auf der Straße und warfEdek Kußhände zu, bis Ruth und Edek nicht mehr zu sehen waren.
    Ruth erreichte das Sanger Building. Ihr Büro befand sich im zehnten Stock. Im Aufzug dachte sie über die neue Serie von
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