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Chronos

Titel: Chronos
Autoren: Robert Charles Wilson
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an. »Was meinst du?«
    »Er kehrt nach Hause zurück. Ich glaube, er hat es verdient, meinst du nicht? Er hat mich als Ablösung empfohlen. Seine Chefs waren einverstanden.«
    Er überlegte einen Moment lang. »Willst du das wirklich?«
    »Ich denke schon. Ben sagt, es ist eine einsame Arbeit. Vielleicht brauche ich so etwas für eine Weile.«
    »Und wie lange soll die Weile dauern?«
    »Acht Jahre. Dann wird die Station geschlossen. Dann gibt es im Keller nichts anderes als Gipswände. Ein unheimlicher Gedanke, nicht wahr?«
    Acht Jahre, dachte Tom. 1997. Kurz vor der Jahrtausendwende.
    »Ich schaffe acht Jahre«, sagte sie. »Ein Klacks.«
    »Und was dann? Gehst du in Rente?«
    »Sie überarbeiten mich. Machen mich wieder jung.« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nicht jung, das ist das falsche Wort. Sie machen meinen Körper jung. Aber ich werde dann fast sechzig sein, gleichgültig, wie ich aussehe. Damit klarzukommen wird vielleicht etwas schwierig. Ich glaube, dass es nichts ausmacht. Innerlich ist man weder jung noch alt, sondern einfach man selbst, stimmt's? Ich werde nicht gerade ein ausgelassenes junges Mädchen sein, aber ich werde auch nicht wie ein Monstrum erscheinen. Jedenfalls nehme ich das an.«
    Sie war Joyce gewesen, würde Joyce sein und war es jetzt. »Ich glaube nicht, dass du dir wegen irgendetwas Sorgen machen musst.«
    »Es ist lustig«, sagte sie. »Wie lange waren wir zusammen? Zehn Wochen, elf Wochen? Es ist schon lustig, wie zwei, drei Monate ein ganzes Leben derart durcheinanderwirbeln können. Jetzt bin ich alt, und du bist jung. In ein paar Jahren ist es genau umgekehrt.«
    Er ergriff ihre Hand. Er stellte sich vor, wie er selbst in sieben Jahren hierher zurückkäme, an die Tür klopfte und Joyce ihm aufmachte ...
    Sie legte ihm einen Finger auf die Lippen. »Rede nicht darüber. Lebe dein Leben. Warte ab, was geschieht.«
    Er begleitete sie zum Einkaufen und fuhr sie dann nach Hause.
    Während der Fahrt fragte sie Tom, was er jetzt vorhabe, und er erzählte ihr mehr oder weniger das, was er auch Tony und Barbara erzählt hatte. Er wolle nach Osten, für eine Weile von dem Erlös des Hauses leben und sich über einige Dinge klar werden.
    Er fügte hinzu: »Ich denke oft an das, was Barbara tut. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ich mit irgendeinem Spruchband vor einer giftverseuchten Mülldeponie stehe. Aber vielleicht sollte ich es mal versuchen, ich weiß es nicht. Ich denke auch an das, was Ben gesagt hat, dass die Zukunft immer unvorhersagbar ist. Vielleicht müssen wir gar nicht in der Welt landen, die so etwas geschaffen hat wie, nun ja, wie ihn ...«
    »Billy«, sagte Joyce. »Ben sagte, er habe Billy geheißen.«
    »Vielleicht können wir Billy ausschalten, ihn verschwinden lassen.« Tom lenkte den Wagen in die bekieste Auffahrt dieses schlichten Hauses, hässlich, aber gepflegt, dieses einsame Haus oben an der Post Road. »Aber das ist ein Paradoxon, nicht wahr? Wenn Billy nicht existiert, wo ist er dann hergekommen?«
    »Von dort, wo Geister herkommen«, antwortete Joyce.
    »Schwer zu glauben, dass ein Geist so gefährlich sein kann.«
    »Geister sind immer gefährlich. Das solltest du doch mittlerweile erkannt haben.«
    Sie legte eine Hand an seine Wange, dann öffnete sie die Tür und stieg aus. Tom lächelte. Er wollte, dass sie ihn lächelnd in Erinnerung behielt.
    Als er nach Osten fuhr, entdeckte er ein Päckchen Samen auf dem Beifahrersitz, das aus ihrer Einkaufstasche herausgerutscht sein musste: Purpurwinden, himmelblau.

 
    EPILOG
    Billy erinnerte sich an ein Gefühl des Aufsteigens, der Ausdehnung, als würde er in ein Vakuum gezogen. Die Bewegung umgab ihn, wurde zu einem Ort, unvorstellbar weiträumig, eine blaue Unendlichkeit wie der Himmel. Und dann war es der Himmel.
    Ein blauer Himmel über einer trockenen Landschaft, weiß überzuckerte Bergen in der Ferne und im Vordergrund eine Farm. Wasser sprühte in hohem Bogen von tausend Sprinklerköpfen in die Luft und erzeugte Regenbögen über meilenweiten Feldern voller Kohl und grünem Weizen und üppigen Weinreben.
    Ohio!
    Billy staunte.
    Er stand in Zivilkleidung auf einer staubigen Straße. Sein Körper war nicht zerbrochen. Keine Schmerzen mehr, keine Angst.
    Eine Straße in Ohio in einem Monster in einem Tunnel zwischen der Zeit.
    Er fand keinen Sinn in der Hierarchie der Unmöglichkeiten. Er war durch einen Wunsch oder durch Zufall hierhergebracht worden, vielleicht durch ein Wesen, das zeitlos
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