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Chronos

Titel: Chronos
Autoren: Robert Charles Wilson
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damit, du bist gerade mal wieder in der Stadt?«
    »Ich kann nicht hierbleiben, Tony. Du hattest mit dem Haus ganz recht. Es war keine gute Investition.«
    »Wenn du nur kurz hier bist ... wohin willst du denn weiterfahren?«
    Er wiederholte, was er dem Automonteur gesagt hatte, irgendwohin nach Osten.
    »Das finde ich ziemlich überstürzt. Du benimmst dich wie ein Halbwüchsiger, Tom, richtig unreif. Das Leben besteht doch nicht aus ziellosem Herumgondeln.«
    »Vielen Dank für den Rat. Ich werde ihn mir merken. Hör mal, ist Loreen in der Nähe?«
    »Du willst sie sprechen?« Er schien überrascht zu sein.
    »Ich will ihr nur Hallo sagen.«
    »Na schön. Pass auf jeden Fall auf dich auf. Denk aber diesmal daran, dich zu melden. Wenn du irgendetwas brauchen solltest, Geld, zum Beispiel ...«
    »Danke, Tony. Das finde ich wirklich nett von dir.«
    Stille, gedämpftes Murmeln im Hintergrund, dann meldete Loreen sich. »Ich bin auf der Durchreise und wollte nur ein Lebenszeichen von mir geben«, sagte Tom. »Und ich wollte mich bei euch bedanken.«
    Sie unterhielten sich eine Weile. Barry hatte gerade Windpocken. Tricia bekam einen Zahn. Tom sagte, er sei herumgereist, und das wolle er noch für eine Weile tun.
    »Du klingst irgendwie anders«, stellte Loreen fest.
    »Tatsächlich?«
    »Ja. Ich weiß nicht recht, wie ich es beschreiben soll. Als hättest du mit irgendetwas deinen Frieden gemacht.« Darauf fiel ihm keine passende Antwort ein, deshalb schwieg er. Sie fuhr fort: »Es ist eine halbe Ewigkeit her, Tom, dieser Unfall, meine ich. Als deine Mutter und dein Vater starben. Aber das Leben geht weiter, Tom. Tag für Tag, Jahr für Jahr. Aber das weißt du selbst, glaube ich.«
    Ein letzter Anruf, ein Ferngespräch nach Seattle. Er bezahlte mit seiner Kreditkarte.
    Eine männliche Stimme meldete sich. »Ist Barbara zu sprechen?«, fragte Tom.
    »Einen Moment bitte.« Geklapper und Murmeln. Dann ihre Stimme.
    Sie sagte, sie freue sich, von ihm zu hören. Sie habe sich schon Sorgen gemacht und sei erleichtert zu erfahren, dass es ihm gutgehe. Er bedankte sich bei ihr, dass sie ihn im vergangenen Frühjahr besucht hatte. Es habe gutgetan zu wissen, dass sie sich um ihn sorge.
    »Ich glaube, damit hört man nie ganz auf. Es hat mit uns beiden zwar nicht besonders gut geklappt, aber wie Hund und Katze waren wir auch nicht gerade.«
    »Es war schön, solange es gut lief«, sagte Tom.
    »Ja.«
    »Und du bist noch immer mit Rafe zusammen?«
    »Wir haben unsere Probleme, aber ja. Ich glaube, es ist eine solide Sache.«
    »Es gab Zeiten, da habe ich mir so sehr gewünscht, du würdest zurückkehren, dass ich tatsächlich versucht habe, so zu tun, als gäbe es dich gar nicht mehr. Kannst du das verstehen?«
    »Vollkommen«, sagte sie.
    »Die Jahre, die wir hatten, waren echte Jahre.«
    »Ja.«
    »Gute und schlechte.«
    »Ja.«
    »Vielen Dank für diese Jahre«, sagte er.
    »Gehst du denn wieder weg?«, wollte sie wissen.
    »Ich weiß noch nicht, wohin. Ich melde mich.«
    »Bitte tu das«, sagte sie.
    Er verließ die Stadt auf dem Küstenhighway und fuhr bis zu der schmalen Serpentinenstraße, auf der seine Eltern ums Leben gekommen waren.
    An einem Aussichtspunkt ein Stück den Highway hinauf lenkte er seinen Wagen an den Rand der Fahrbahn. Er stieg aus und setzte sich für eine Weile auf die Steinmauer, wo der Berghang zwischen Krüppelkiefern wegsackte und zum Meer hin abfiel. Er war seit dem Unfall mindestens ein Dutzend Mal an dieser Stelle vorbeigekommen, hatte aber nie angehalten, hatte sich niemals dazu durchgerungen, über das Unglück nachzudenken. Das Klopfen an der Tür, die unbegreifliche Nachricht von ihrem Tod – er hatte sich zwar immer wieder mit diesen Dingen beschäftigt, aber niemals an diesem Ort. Mit der Mythologie, aber nie mit der Tatsache als solcher. Er rief sich in Erinnerung, dass ihr Wagen an einem regnerischen Tag über die Begrenzungsmauer geschleudert worden und abgestürzt war, dass der Wagen dann auf den Felsen zerschellte. Der Krankenwagen war eingetroffen und wieder weggefahren, das Autowrack war von einem Kran hochgehievt worden und wurde abgeschleppt. Die Nacht brach herein, die Wolkendecke riss auf, Sterne erschienen am Himmel, die Sonne ging auf. Zwei Menschen waren gestorben, doch ihr Tod war ein Ereignis neben allen anderen Ereignissen ihres Lebens, nicht bedeutsamer oder unwichtiger als ihre Trauung, die Geburt ihrer Kinder, als Ehrgeiz, Enttäuschung, Liebe. Vielleicht hatte Loreen
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