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Chroniken der Jägerin 3

Chroniken der Jägerin 3

Titel: Chroniken der Jägerin 3
Autoren: M Liu
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berührten Rohw und Aaz mit den Spitzen ihrer langen schwarzen Zungen den blutverschmierten Fußboden. Ganz vorsichtig und behutsam, so als könnten sie schmecken, was geschehen war. Die Säume ihrer Baseballtrikots waren rot getränkt.
    Unter meiner Haut kribbelte es. Vom Kopf bis zu den Zehen, von den Rändern meiner Fingernägel bis in die Haarwurzeln. Die Fenster waren dunkel, aber dies hier war doch Seattle. Es hatte seit Wochen geregnet. Bald würde die Sonne aufgehen. Mir blieben höchstens noch ein paar Minuten. Das reichte nicht für all die Antworten, die ich brauchte.
    Noch immer berührte ich Jacks Schuh. »Zee, was ist passiert?«
    Wieder keine Antwort. Ich hörte ein schlurfendes Geräusch. Schaute über meine Schulter und konnte gerade noch sehen, wie sich der Mann bückte und Zees Arm schnappte. Ich zuckte zusammen und erwartete seinen Schrei.
    Aber er schrie nicht. Er hätte seine Hand verlieren müssen. Oder seine Finger, oder wenigstens Haut. Niemand berührte
die Jungs, von mir einmal abgesehen, und das auch nur, weil sie es zuließen. Jeder Zentimeter von ihnen war so scharf wie ein Rasiermesser, wenn sie es wollten. Aber der Mann ließ nicht ab und starrte Zee an. Mit Zorn in den Augen, wie ich sehen konnte.
    »Antworte ihr!«, befahl er. Zee schüttelte den Kopf. Ich erhob mich, schwankte auf meinen Füßen. Ich blickte zu dem Messer hin, das im Blut lag. Ich brachte es nicht über mich, es zu berühren.
    »Zee«, fragte ich heiser. »Wer hat Jack ermordet?«
    Zee murmelte etwas in sich hinein und wandte den Blick ab. Die anderen Jungs taten es ihm nach. Keiner der kleinen Dämonen konnte mir in die Augen sehen, und das erschütterte mich zutiefst.
    »Lasst mich nicht betteln«, flüsterte ich. »Was ist hier geschehen?«
    Der Dämon schloss die Augen. »Ein Mysterium.«
    »Das ist keine Antwort!« Ich machte einen Schritt auf ihn zu, während mir jeder Knochen im Leib wehtat. »Habe ich ihn umgebracht? Habe ich meinen eigenen …?«
    Zee schnarrte und entwand sich dem Mann. Von seiner Hand spritzte das Blut. Er zischte, drückte die Faust gegen seinen Bauch und starrte Zee mit Augen an, die so hart wirkten wie Feuerstein.
    »Es ist völlig ausgeschlossen, dass du deinem Großvater das angetan haben könntest«, sagte der Mann und schaute dabei den Dämon an, nicht mich. »Völlig ausgeschlossen, Maxine.«
    Ich antwortete nicht. Zee starrte in meine Augen, sein kleiner Brustkorb hob und senkte sich, die Dielen unter ihm waren zerbrochen und ruiniert. Aus seinem Rücken stieg Rauch empor und füllte die Luft mit einem schwefeligen Geruch, der mir
in der Nase brannte. Er sah wütend aus, aber es war ein nervöser, trauernder Duft.
    Mir war immer noch schwindlig, und ich griff mir an die Stirn. »Hab ich ihn getötet? Ja, oder nein?«
    »Ich weiß nicht«, schnarrte Zee, und ein Zittern erfasste seinen Körper, schüttelte ihn durch, bis er wie ein knochiger Ball zusammengerollt auf dem Boden lag. »Kann mich nicht erinnern.«
    »Was…?«, entfuhr es mir, aber ich fing mich wieder und schluckte schwer. Das ist unmöglich , hatte ich noch sagen wollen, aber Dämonen lügen nie. Sie konnten in Rätseln sprechen, oder in gewundenen Sätzen, aber sie verabscheuten die Lüge ebenso sehr wie das Brechen eines Versprechens.
    »Kann mich nicht erinnern«, keuchte Zee und starrte auf seine Klauen, als hätte er sie noch nie zuvor gesehen. »Erinnere mich an gar nichts. Machte die Augen auf, sah Blut, und nichts, nichts, nichts sonst.«
    »Zee«, flüsterte ich, doch er begann erneut zu zittern, drückte seinen Kopf gegen die Knöchel und Klauen und versuchte wieder, seine Augen auszugraben. Doch der einzige Lohn seiner Mühen waren ein paar Funken in der Luft. Ich ging vor ihm auf die Knie und umfasste seine knorrigen Handgelenke. Er hätte mir mit einer kleinen Geste die Knochen brechen können, aber er verharrte reglos, zitternd, mit dem Brustkorb, der sich senkte und hob. Ich zog ihn in meine Arme.
    Er war so ruhig, so emotionslos gewesen, doch als er mich nun endlich anblickte, lag etwas Gebrochenes in seinem Blick. Nie zuvor hatte ich größeres Entsetzen in seinem kantigen, zerklüfteten Gesicht gesehen.
    »Schnell wie der Blitz«, flüsterte er. »Unsere Erinnerung. Alles weg.«

    Ich fühlte Wärme an meiner Schulter. Der Mann kam näher. Ich drehte meinen Kopf gerade weit genug, um zu erkennen, wie sich Rohw und Aaz an seine Beine klammerten und ihre Gesichter in seinen Kniekehlen
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