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Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Titel: Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
Autoren: Anne Rice
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erläuterte er nicht in diesem Zusammenhang«, sagte Merrick mit stiller Demut. »Aber er schickte mich in den mittelamerikanischen Dschungel, damit ich die Maske fände, mit der ich Claudias Geist erscheinen ließ. Er hatte mich zuvor schon einmal dorthin geschickt, mit meiner Mutter und meiner Schwester. Ich sollte das Stichwerkzeug finden, mit dem ich später Louis’ Hand gelenk aufschlitzen würde, um sein Blut zu bekommen - nicht nur für die Beschwörungen, sondern auch für den Bindezauber, mit dem ich Louis zu mir holte.«
    Die anderen sagten nichts. Aber Louis und Lestat verstanden sie. Und es war Merricks Geschichte, dieser komplizierte Plan, der mich endlich dazu brachte, sie ganz und gar zu akzeptieren, anstatt sie, die der sichtbare Beweis für meine schreckliche Schuld war, auf Abstand zu halten.
    Der Morgen näherte sich schon. Wir hatten nur noch ein, zwei Stunden, und Lestat wollte diese Zeit nutzen, um Merrick seine Kraft zu übertragen. Doch ehe wir uns trennten, wandte sich Lestat an Louis und fragte ihn etwas, was uns alle interessierte. »Als die Sonne aufging, als du die Sonne sahst, als sie dich verbrannte, bevor du bewusstlos wurdest - was sahst du da?« Louis starrte Lestat einige Sekunden lang an, mit völlig ausdrucksloser Miene, die sein Gesicht immer annimmt, wenn er hochgradig erregt ist. Dann wurden seine Züge weich, er runzelte die Brauen nachdenklich, und schon standen ihm auch schon die gefürchteten Tränen in den Augen.
    »Nichts«, antwortete er. Er neigte den Kopf. »Nichts. Ich sah nichts, und ich fühlte, dass da nichts war. Ich fühlte nichts - alles leer, farblos, zeitlos. Nichts. Dass ich je in körperlicher Form existiert haben sollte, schien mir unwirklich.« Er hielt die Augen fest geschlossen und hob die Hand, um sein Gesicht vor uns zu verbergen. Er weinte. »Nichts«, wiederholte er. »Überhaupt nichts.«

25
    Wie viel Blut Lestat Merrick auch gab, nichts konnte sie ihm ebenbürtig machen. Aber durch den schonungslosen Blutaustausch gewann sie enorm an Kraft.
    Und so bildeten wir wieder einmal einen neuen Orden, einen munteren Orden, in dem wir die Gesellschaft der anderen genossen und uns gegenseitig alle Sünden der Vergangenheit verziehen. Mit jeder verstreichenden Stunde ähnelte Lestat mehr seinem früheren Selbst, diesem betriebsamen, impulsiven Geschöpf, das ich stets geliebt hatte.
    Ob ich wirklich glaube, dass Merrick mich mit einem Zauber an sich band? Nein. Ich glaube nicht, dass mein Verstand so beeinflussbar ist. Aber was soll ich von Onkel Vervains Plänen halten? Ganz bewusst verbannte ich diese Sache aus meinen Gedanken und nahm Merrick so getreulich in meine Arme wie früher, wenn ich auch leider ertragen muss, dass sie von Louis völlig hingerissen war und umgekehrt er von ihr. Aber ich hatte Lestat zurück, nicht wahr?
    Zwei Nächt e später - Nächte ohne besondere Ereignisse oder besondere Taten, außer dass Merrick immer mehr Erfahrung gewann - fragte ich Lestat das, was mich während seines tiefen Schlafes so in Sorge versetzt hatte. Er befand sich in dem vorderen, hübsch ausgestatteten Salon in der Rue Royale. In seinem schlank geschnittenen schwarzen Samtanzug - Kameen als Knöpfe, nichts weniger! - sah er wundervoll aus, und sein schönes blondes Haar glänzte wieder, wie es sich gehörte, in dem traulichen Licht der zahlreichen Lampen.
    »Dein langer Schlummer hat mir Angst gemacht«, gestand ich ihm. »Zu Zeiten hätte ich schwören können, dass du gar nicht in deinem Körper warst. Natürlich rede ich nun wieder von einer Form des Lauschens, die mir als deinem Zögling verwehrt ist. Aber eigentlich spreche ich von einem menschlichen Instinkt, der in mir ziemlich ausgeprägt ist.«
    Ich erzählte ihm auch, wie sehr es mich entnervt hatte, ihn in diesem Zustand zu sehen, nicht in der Lage zu sein, ihn aufzurütteln, und fürchten zu müssen, dass seine Seele außerhalb seines Körpers umherschweifte und möglicherweise nicht zurückfand. Er schwieg für eine Weile, und einen Sekundenbruchteil lang glaubte ich, dass sich ein Schatten über sein Gesicht senkte. Dann schenk te er mir ein warmes Lächeln und bedeutete mir, mich nicht mehr zu sorgen.
    »Vielleicht erzähle ich dir ja eines Nachts davon«, sagte er. »Im Moment nur so viel: In deinen Vermutungen steckte ein Körnchen Wahrheit. Ich war nicht ständig da.« Er brach ab, dachte nach, ja, er flüsterte sogar etwas Unverständliches. Dann fuhr er fort: »Wo ich war, kann ich
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