Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Titel: Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
jetzt nicht erklären. Aber ich wiederhole: Eines Nachts will ich es vielleicht zu erklären versuchen, dir vor allen anderen.«
    Damit hatte er mich schrecklich neugierig gemacht, und für einen Augenblick fand ich wirklich, dass er einen rasend machen konnte. Aber er lachte mich an, und ich sagte nichts. »Ich werde nicht wieder in diesen Schlummer fallen«, bemerkte er schließlich. Er sprach ganz nüchtern und überzeugend. »Ich möchte, dass ihr alle euch dessen ganz sicher seid. Es sind Jahre vergangen, seit Memnoch mich heimsuchte. Ihr mögt sagen, dass es mich alle Kraftreserven kostete, dieser schrecklichen Prüfung standzuhalten. Und damals, als ich das erste Mal durch Sybelles Klavierspiel geweckt wurde, war ich euch näher als in der darauf folgenden Zeit.«
    »Deine aufreizenden Andeutungen weisen darauf hin, dass dir etwas widerfahren ist«, sagte ich.
    »Vielleicht stimmt das ja«, antwortete er, und sein Taktieren und sein spielerischer Tonfall machten mich wütend. »Vielleicht auch nicht. David, wie soll ich das wissen? Hab Geduld. Du und ich, wie haben einander nun wieder, und Louis muss endlich nicht mehr unser Missfallen auf seinem Schild mit sich herumtragen. Glaub mir, darüber bin ich froh.«
    Ich nickte lächelnd, aber der bloße Gedanke an Louis ließ mich wieder an den grausigen Anblick seines verbrannten Körpers in dem Sarg denken. Es war der eindeutige Beweis dafür gewesen, dass der stille, allmächtige Glanz der Sonne nie wieder wohlwollend auf mich fallen würde. Es war der eindeutige Beweis dafür, dass wir allzu leicht vergehen können, dass die ganze sterbliche Welt während der Stunden zwischen Morgen- und Abenddämmerung unser tödlicher Feind ist.
    »Ich habe viel Zeit verloren«, bemerkte Lestat in seiner gewohnt umtriebigen Art und ließ die Augen durch den Raum schweifen. »So viele Bücher muss ich lesen, und so viele Dinge will ich sehen! Die Welt hat mich wieder. Hier gehöre ich hin.« Ich vermute, danach hätten wir einen ruhigen Abend verbringen können, hätten lesen und uns an den tröstlichen häuslichen Szenen der leuchtenden impressionistischen Gemälde erfreuen können, wenn nicht Merrick und Louis plötzlich die eiserne Außentreppe hinauf und den Flur entlanggekommen wären. Merrick hatte ihre Vorliebe für Kostüme beibehalten, und in diesem hier aus dunkelgrüner Seide sah sie fantastisch aus. Sie ging voraus, Louis, der Zurückhaltendere, folgte ihr. Sie setzten sich auf das brokatbezogene Sofa uns gegenüber, und Lestat fragte geradeheraus:
    »Stimmt etwas nicht?«
    »Die Talamasca … «, sagte Merrick. »Ich glaube, es wäre klug, New Orleans zu verlassen. Sofort, meine ich.«
    »Das ist totaler Blödsinn«, antwortete Lestat ohne Umschweife. »Davon will ich nichts hören.« Sein Gesicht rötete sich erregt. »Ich habe mich noch nie in meinem Leben vor Sterblichen gefürchtet. Ich habe keine Angst vor der Talamasca.«
    »Die solltest du aber vielleicht haben«, sagte Louis. »Hör dir an, was in dem Brief steht, den sie Merrick geschrieben haben.«
    »Was heißt ›ihr geschrieben haben‹?«, fragte Lestat missmutig. »Merrick, du bist doch nicht etwa zurück zum Mutterhaus gegangen? Dir war doch wohl klar, dass du das nicht machen kannst?«
    »Natürlich, und ich bin euch allen gegenüber loyal, das brauchst du nicht in Zweifel zu ziehen«, schoss sie zurück. »Aber dieser Brief war an meine alte Adresse hier in New Orleans gerichtet. Ich fand ihn heute Abend, und mir gefällt das alles überhaupt nicht. Ich denke, dass wir noch einmal gründlich überlegen sollten, wenn ihr auch möglicherweise mir alles anlastet.«
    »Nichts werde ich überlegen!«, sagte Lestat. »Lies vor!« Als sie den Brief aus ihrer Leinentasche zog, sah ich sofort, dass er ein persönlich ausgeliefertes Machwerk der Ältesten war. Es sah aus wie auf echtem Pergament geschrieben und schien den Jahrhunderten trotzen zu wollen. Aber es war mit Sicherheit von einer Maschine gedruckt, denn wann hatten die Ältesten je etwas mit eigener Hand geschrieben?
     
    »Merrick, wir haben mit großer Verärgerung von den Experimenten erfahren, die du neulich in deinem Geburtshaus durchgeführt hast. Wir weisen dich an, New Orleans so bald wie möglich zu verlassen und jeden weiteren Umgang mit den anderen Mitgliedern der Talamasca zu unterlassen, ebenso wie mit der erlesenen und gefährlichen Gesellschaft, die dich ganz offensichtlich verführt hat. Komm ohne Umwege zu uns nach
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher