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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
Autoren: Anne Rice
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zurück. Ich fiel erschöpft in einen samtenen Lehnstuhl. In meinem Kopf hämmerte es, ich spürte, wie mir die Tränen erneut kamen, aber um ihretwillen schluckte ich sie gewaltsam hinunter. Ich hatte keine Wahl. Sybelle war wieder zu ihrem Flügel zurückgekehrt und schlug erneut die ersten Töne der Sonate an. Dazu trällerte sie mit ihrem hellen Sopran, und Benji begann wieder zu tanzen und wirbelte und schritt und stampfte.
    Ich saß vorgebeugt im Sessel, den Kopf in die Hände gestützt, und hätte am liebsten mein Gesicht mit den Haaren verdeckt, um mich vor allen zu verstecken. Als ich eine Hand auf meiner Schulter spürte, versteifte ich mich, aber ich brachte kein Wort heraus, weil ich sonst wieder mit aller Macht zu schreien und zu fluchen begonnen hätte. »Ich erwarte nicht, dass du es verstehst«, murmelte er leise. Ich richtete mich auf. Marius hatte sich neben mich auf die Sessellehne gesetzt. Er schaute auf mich nieder. Ich machte ein freundliches Gesicht und meine Stimme war so samten, dass niemand glaubte, wir sprächen über anderes als Liebe.
    »Wie konntest du das tun? Warum? Hasst du mich so sehr? Belüg mich nicht. Erzähl mir kein dummes Zeug, das glaube ich sowieso nicht. Und lüg auch nicht um Pandoras willen oder wegen der beiden. Ich liebe sie auf ewig. Aber belüg mich nicht. Du hast es aus Rache getan, ist es so, Meister? Du hast es aus Hass gemacht.«
    »Wie könnte ich?«, fragte er mit einer Stimme, in der tiefste Liebe l ag. Es war, als spräche die Stimme der Liebe selbst zu mir. »Wenn ich je etwas aus Liebe getan habe, dann war es dies. Aus Liebe und für dich. Ich tat es wegen der Ungerechtigkeiten, die dir widerfuhren, wegen der Einsamkeit, die du erleiden musstest, und wegen der Schrecken, die die Welt dir auflud, als du zu jung und nicht genügend gestählt warst, um ihnen zu begegnen. Ich habe es für dich getan.«
    »Ach, du lügst, du lügst, vielleicht nicht mit Worten, aber in deiner Seele wohnt die Lüge! Du hast es aus Trotz getan, und du hast es gerade nur zu klar dargelegt. Du hast es aus Trotz getan, weil ich nicht so wurde, wie du dir deinen Zögling vorgestellt hattest, ich war kein kluger Rebell, der sich gegen Santino und seine Bande durchsetzen konnte. Und nach a ll den Jahrhunderten enttäuschte ich dich abermals, als ich mich der Sonne aussetzte, nachdem ich das Schweißtuch gesehen hatte. Und darum hast du es gemacht. Aus Rache und aus Bitterkeit und Enttäuschung, und der grausige Gipfel ist, dass du es selbst nicht weißt. Du konntest nicht ertragen, dass mir das Herz schwoll bis zum Bersten, als ich das Schweißtuch sah. Du konntest nicht ertragen, dass dieses Kind, das du dem Bordell entrissen hattest, das du mit deinem eigenen Blut genährt hattest, das Kind, das du ganz eigenhändig unterrichtet hattest, dass dieses Kind aufschrie, als es Sein Antlitz auf dem Schweißtuch sah.«
    »Nein, das ist so weit von der Wahrheit entfernt, dass es mir das Herz bricht.« Er schüttelte den Kopf, und trotz der fehlenden Tränen war sein weißes Gesicht ein Bild des Kummers. »Ich habe es getan, weil sie dich lieben, wie du noch nie geliebt worden bist, und sie sind frei und ihre Großherzigkeit und ihre Klugheit lässt sie nicht vor dir zurückschrecken. Ich habe es getan, weil sie, die beiden, in dem gleichen Ofen geläutert wurden wie ich selbst, sie sind vernunftbetont und haben Durchhaltevermögen. Ich habe es getan, weil sie der Wahnsinn nicht besiegen konnte, und ihn nicht Armut noch Unwissenheit. Ich habe es getan, weil sie die Auserwählten waren, sie waren vollkommen für dich, und ich wusste, dass du es nicht tun würdest, und eines Tages würden sie dich dafür hassen, so wie du mich einst gehasst hast, weil ich dir die Gabe vorenthielt. Dann würdet ihr euch entfremden. Und da du nicht nachgeben würdest, hätten sie eines Tages sterben müssen. Nun sind sie ganz dein. Nichts trennt euch mehr. Und es ist nun mein altes und machtvolles Blut, das in ihnen fließt, sie sind gleichwertige Gefährten für dich und nicht der blasse Schatten, der Louis immer war. Und noch etwas: Zwischen euch gibt es nicht die trennende Barriere wie sonst zwischen Meister und Zögling, so könnt ihr gegenseitig eure tiefsten Seelen erforschen.« Ich wollte ihm so gern glauben. So gern! Ich stand auf und zog mich in den Garten zurück, wo ich zwischen dicken Eichen stehen blieb, allein. Aus gewaltigen Wurzeln strebten sie empor und formten hohe, dichte, grün belaubte Kronen.
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