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Chronik der Silberelfen Bd. 1 - Zeit der Rebellen

Chronik der Silberelfen Bd. 1 - Zeit der Rebellen

Titel: Chronik der Silberelfen Bd. 1 - Zeit der Rebellen
Autoren: Gillian Philip
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unzähligen Jahren danach immer wieder dieses Bild ins Gedächtnis rief: meine Geliebte mit einem müden, schiefen Grinsen im Gesicht; ihre trockenen, faltigen Finger an meiner Wange.
    Dreißig Jahre. Wenn sie Glück hat. So hatte Conals schonungslose Prophezeiung gelautet. Sie hatte offensichtlich kein Glück gehabt. Sie hatte das Pech gehabt, ihren Stiefvater kennenzulernen, den Lammyr-Priester, und natürlich Conal und mich.
    Meine Tränen tropften auf ihr Haar, auf ihr weißes Robbenfell. Es fühlte sich noch immer seidenweich an auf meiner Wange.
    „Weine nicht“, sagte sie.
    Sie war federleicht. Wie ein kleiner Vogel ruhte sie in meinem Arm, als wären ihre Knochen so hohl wie der Schaft eines Pfeil s – ich müsste sie nur noch mit ein paar himmelblauen Federn schmücken und schon könnte sie fliegen.
    Mit den Fingerspitzen streichelte sie mir übers Gesicht und ließ sie auf meinen Tränen liegen.
    „Jener Sommer mit dir, mein Silberelf, das Jahr bei Kate und die zwei Jahre hier sind mehr, als ich jemals zu träumen gewagt hätte, als ich mit deinem Bruder zusammen in dem dunklen Verlies auf den Tod wartete. Es war genug Glück für ein Leben, mein Liebster“, sagte sie.
    Aber nicht für mich, sagte ich.
    „Du hast es gewusst, mein Liebster“, fuhr sie zärtlich fort. „Vielleicht hatten wir weniger Zeit, als wir dachten, aber du hast es gewusst. Ich bin glücklich. Und ich habe dich geliebt. Ich bin so glücklich, dass ich dich lieben durfte.“
    Konnte sie im Geist mit mir sprechen? Ich weiß es nicht. Ich weiß heute nicht mehr, ob ich mit ihr sprach oder Gedanken austauschte. Es war alles eins.
    „Seth?“
    „Ja?“
    Sie zögerte. Vielleicht fiel ihr auch nur das Luftholen zunehmend schwer.
    „Sei nicht zornig.“
    Ich antwortete nicht.
    „Sie sind alle tot. Verschwende dein Herz nicht an Rachegelüste.“
    Aber wie sollte das gehen? Ich hatte so oft Rache geschworen, so vielen Menschen Vergeltung angedroht, aber selbst darum war ich betrogen worden.
    „Bitte, ich liebe dein Herz so sehr, mein Silberelf. Wirf es nicht weg, nicht um meinetwillen. Tot ist tot.“
    „Es wird aber immer wieder solche Menschen geben, Catriona, immer wieder. Sie haben meinen Zorn verdient“, beharrte ich kopfschüttelnd.
    „Das bestreite ich auch nicht.“ Sie legte den Kopf schräg und schenkte mir ein erschöpftes Lächeln. „Aber dein Herz, dein Herz haben sie nicht verdient. Und es würde an deinem Zorn zerbrechen. Dabei liebe ich dein Herz doch so sehr.“
    Ich küsste sie auf die Stirn. Ich wollte nicht mehr aufhören, sie zu küssen. Mit aller Gewalt musste ich meine Lippen von ihr losreißen, damit ich ihr sagen konnte: „Ich werde es versuchen.“
    „Gut. Hältst du mich fest?“
    „Natürlich halte ich dich fest. Ich lasse dich nie mehr los.“
    „Irgendwann wirst du es müssen, mein Liebster.“
    „Nenn mich beim Namen“, sagte ich.
    „Murlainn“, raunte sie mit einem Lächeln. „Ich werde unsere Söhne wiedersehen.“
    „Ja, das wirst du.“ Ich erwiderte ihr Lächeln und barg ihren Kopf an meiner Schulter.
    „Geh nicht, Murlainn“, sagte sie. „Nicht, bevor ich gegangen bin.“
    „Du weißt, dass ich das niemals tun würde. Ich liebe dich.“
    „Ich weiß.“
    Seit Stunden hatte ich mich nicht bewegt, seit Tagen nicht rasiert. Nicht, dass das für Catriona noch eine Rolle gespielt hätte.
    Ich hörte Conal zaghaft an die Tür klopfen, aber wie er hereinkam, sah ich nicht. Immer und immer wieder strich ich Catriona über ihre eingefallenen Wangen. Ihre Mundwinkel zeigten leicht nach oben, ihre Lippen waren nicht mehr so faltig wie zuvor. Auch ihre Haut wirkte weniger zerfurcht. Ich fuhr ihr durch die weißen Haarstoppeln und erfühlte jede Rundung ihres Kopfes mit meiner Handfläche. Sie war schön, immer noch so schön. Auch wenn sie jenseits des Schleiers in Sekundenschnelle gealtert war, hatte das Alter ihre hübschen Züge nicht verdecken können, ihre Schönheit hatte Bestand trotz aller Pein, trotz aller Not. Sie war in Würde gealtert.
    Oh Götter, sie war gealtert. Ich drückte mein tränennasses Gesicht in ihr Haar und biss die Zähne zusammen.
    „Seth.“
    Ich schaute nicht auf. Ich wollte nicht, dass er meine Augen so sah, und blinzelte fest.
    „Wohin wirst du gehen?“, fragte Conal.
    Ich musste mich ein paarmal räuspern, bevor ich sprechen konnte. „Hinauf zu den Steinen. Sie erinnern mich an den Ort, an de m … an den Ort, an de m …“
    „ … an dem ihre Kinder
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