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Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)
Autoren: Michelle Paver
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breiteren Abdrücken der Vordertatzen. Jeder Abdruck war dreimal so groß wie sein eigener Kopf.
    Die Spuren sind frisch, dachte er, aber die Ränder sind schon angetaut. Obwohl das bei dieser Sonne wahrscheinlich nicht lange dauert…
    Wolf lief mitten durch die Spuren und drängte voran.
    Torak ging langsamer. Jeder Busch und jeder Felsen nahm jetzt Bärengestalt an.
    Als sie mühsam den Hang erklommen, wurde Wolf immer aufgeregter, rannte voraus und kam wieder zu Torak zurück, feuerte ihn mit leisem Knurren und Winseln an. Vielleicht kamen sie dem Berg endlich doch näher. Vielleicht war Wolf deshalb so ungestüm und furchtlos. Torak wäre auch gern furchtlos gewesen, doch er spürte nur noch das Gewicht der Nanuak an seinem Gürtel – und die bedrohliche Nähe des Bären.
    Ein fernes Brüllen zerriss den Wald.
    Ein Eichelhäher flatterte kreischend davon.
    Toraks Hand umschloss den Messergriff so fest, dass es wehtat. Wie weit war der Bär weg? Wo war er?
    Wolf wartete mit gesträubtem Nackenhaar, aber erhobenem Schwanz, bis Torak aufgeholt hatte. Seine Antwort war unmissverständlich: Noch nicht .
    Torak stapfte weiter und überlegte, was wohl mit den Seelen des Bären geschehen sein mochte. Schließlich hatte Renn gemeint, dass es trotz allem immer noch ein Bär war, wie jeder Bär musste er einst Lachse gefischt, Beeren gesucht und Winterschlaf gehalten haben. Waren seine Seelen zusammen mit dem Dämon in seinem Leib eingeschlossen? Hatten sie Angst?
    Torak ging um einen Felsen herum – und stand vor der vom Blitz gespaltenen Fichte.
    Aller Mut verließ ihn.
    Über ihm ragten die Hohen Berge blendend weiß gen Himmel. Die Klamm zerteilte sie wie ein klaffender Schnitt. Immer tiefer grub sie sich in das Gestein und verlor sich in undurchdringlichen Wolkenschleiern. Ein schmaler Pfad klammerte sich an die westliche Bergflanke und stieg von dort, wo Torak stand, immer höher empor. Wer hatte ihn angelegt? Und zu welchem Zweck? Wer wagte es, den Fuß darauf zu setzen und an diesen unheimlichen Ort vorzudringen?
    Plötzlich teilten sich die Wolken und enthüllten Torak, was hinter der Klamm lag. Sturmwolken wanden sich um die Bergflanken, eine eisige, windstille Kälte strich vom fernen Gipfel herab, unvorstellbar hoch bohrte er sich in den Himmel  – der Berg des Weltgeistes.
    Torak schloss die Augen, spürte aber trotzdem die Macht des Geistes, die ihn in die Knie zwingen wollte, spürte seinen Zorn. Die Seelenesser hatten einen Dämon aus der Anderen Welt beschworen, hatten ein Ungeheuer auf den Großen Wald losgelassen. Sie hatten den Pakt gebrochen. Warum sollte der Geist den Menschen beistehen, wenn sich einige von ihnen so schändlich verhielten?
    Torak senkte den Kopf. Er konnte nicht weitergehen. Er gehörte hier nicht hin. Es war eine Stätte der Geister, nicht der Menschen.
    Als er die Augen wieder aufschlug, war der Berg verschwunden, war wie zuvor in Wolken gehüllt.
    Torak hockte sich hin. Ich schaffe es nicht, dachte er. Ich kann dort nicht hinaufgehen.
    Wolf saß vor ihm. Seine tropfenförmigen Augen waren klar wie Quellwasser. O doch, das kannst du. Ich bin bei dir.
    Torak schüttelte den Kopf.
    Wolf schaute ihn unverwandt an.
    Torak dachte an Renn und Fin-Kedinn und den Rabenclan, er dachte an all die anderen Sippen, von denen er nichts wusste. Er dachte an das vielfältige Leben im Wald. Er dachte an Fa … nicht an Fa, als er sterbend in der zerstörten Hütte lag, sondern an Fa, wie er vor dem Überfall des Bären gewesen war … als er über Toraks Scherze gelacht hatte …
    Kummer überwältigte ihn. Er zog das Messer aus der Scheide, streifte den Handschuh ab und legte die bloße Hand auf die kalte blaue Schieferklinge. »Du darfst jetzt nicht aufgeben«, sagte er laut. »Du hast einen Eid abgelegt. Du hast es Fa versprochen.«
    Er streifte Köcher und Bogen ab und lehnte sie an den Baum. Dann tat er das Gleiche mit Trage, Schlafsack, Wassersack und Axt. Das alles brauchte er nicht mehr. Er brauchte nur sein Messer, die Nanuak in ihrem Rabenhautbeutel und Renns kleines Birkenbastbündel in seinem Medizinbeutel.
    Ein letztes Mal ließ er den Blick über den Großen Wald schweifen, dann folgte er Wolf.

Kapitel 31

    KAUM HATTE TORAK den Pfad betreten, wurde es empfindlich kälter. Der Atem knisterte in seinen Nasenlöchern, seine Wimpern klebten zusammen. Der Geist warnte ihn.
    Das Eis unter seinen Stiefeln war brüchig, jeder Schritt hallte in der Klamm wider. Wolfs weiche Pfoten
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