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Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)
Autoren: Michelle Paver
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verursachten kein Geräusch. Er drehte sich um und wartete, bis Torak aufschloss, seine Schnauze war entspannt, er wedelte sogar ein wenig mit dem Schwanz. Es hatte fast den Anschein, als freute er sich, hier zu sein.
    Schnaufend holte ihn Torak ein. Der Pfad war so schmal, dass sie gerade eben noch nebeneinander gehen konnten. Torak schaute nach unten… und bereute es sofort. Schon jetzt lag der Boden der Schlucht tief unter ihnen.
    Sie stiegen höher. Die Sonne kroch über die gegenüberliegende Wand der Klamm und blendete sie. Das Eis wurde immer tückischer. Als Torak einmal zu dicht an den Rand des Pfades geriet, bröckelte es unter seinen Sohlen, und er wäre um ein Haar abgestürzt.
    Ungefähr vierzig Schritt vor ihm wurde der Pfad unter einem felsigen Überhang ein wenig breiter. Es war keine richtige Höhle, sondern lediglich eine flache Nische, wo das schwarze Basaltgestein durchschimmerte. Bei diesem Anblick schöpfte Torak neuen Mut. Er hatte auf so etwas wie einen Unterschlupf gehofft, denn den brauchte er für seinen Plan.
    Wolf blieb stehen und spannte alle Muskeln an.
    Er schaute mit aufgestellten, nach vorn gerichteten Ohren in die Schlucht hinab und jedes einzelne Haar auf seinem Rücken sträubte sich.
    Torak hielt die Hand über die Augen und spähte über die Steilwand. Da war nichts. Nur schwarze Baumstämme und schneebedeckte Felsen. Verwirrt wollte er sich schon umdrehen und weitergehen – da tauchte der Bär auf, urplötzlich, wie es Bärenart ist. Erst bewegte sich undeutlich etwas am Grund der Schlucht, im nächsten Augenblick stand er da.
    Sogar aus dieser Entfernung, fünfzig oder sechzig Schritt unter Torak, wirkte er riesig. Während Torak noch wie angewurzelt verharrte, schaukelte der Bär misstrauisch witternd den Oberkörper hin und her.
    Er konnte den Jungen nicht sehen, dafür war Torak zu weit oben. Er drehte sich um und trottete aus der Schlucht hinaus in Richtung Wald.
    Jetzt musste Torak das Undenkbare tun. Er musste den Bären wieder herlocken.
    Dazu gab es nur eine sichere Methode. Er streifte sich die Handschuhe ab und hauchte seine steifen Finger an, dann löste er den Rabenhautbeutel vom Gürtel, band die Haarschnur auf und öffnete die Rindenschachtel. Die Nanuak blickte ihn an. Flussaugen, Steinzahn, Lampe.
    Wolf gab ein winselndes Knurren von sich.
    Torak fuhr sich mit der Zunge über die aufgesprungenen Lippen. Er nahm Renns Birkenbastbündel aus seinem Medizinbeutel, stopfte die reinigenden Kräuter und die Basthülle in den Ausschnitt seiner Jacke und betrachtete das, was Renn vergangene Nacht für ihn angefertigt hatte. Es war ein kleiner Beutel aus Knüpfgras, so feinmaschig, dass sogar die Flussaugen nicht herausfallen konnten. Trotzdem schimmerte das Licht der Nanuak hindurch, das Licht, das Torak nicht sehen konnte, der Bär dagegen sehr wohl.
    Vorsichtig, um die Nanuak nicht mit bloßen Händen zu berühren, ließ er Lampe, Steinzahn und Flussaugen in den Knüpfgrasbeutel gleiten. Dann zog er ihn zu und legte sich das lange Band um den Hals. Jetzt trug er die Nanuak unverhüllt auf der Brust. Wolfs Augen reflektierten einen schwachen Goldschimmer: das Licht der Nanuak. Wenn Wolf es sehen konnte, dann auch der Dämon. Darauf musste Torak vertrauen.
    Er drehte sich um. Das Untier war bereits ein ganzes Stück von der Schlucht entfernt und pflügte mühelos durch den Schnee.
    »Hier ist es«, sagte Torak mit gedämpfter Stimme, um den Weltgeist nicht zu erzürnen. »Hier ist das, hinter dem du her bist, die hellste jener hellen Seelen, die du so sehr hasst, dass du sie unbedingt ein für alle Mal auslöschen willst. Komm und hol sie dir.«
    Der Bär blieb stehen. Ein Zucken überlief seine massigen Schulterhöcker. Der große Kopf schwang herum. Er machte kehrt und kam auf Torak zu.
    Grimmiger Jubel stieg in Torak auf. Seit das Ungeheuer Fa getötet hatte, war er vor ihm geflohen. Jetzt lief er nicht mehr davon. Er stellte sich dem Kampf.
    Das Tier bewegte sich erstaunlich flink. Schon war es unter ihm. Wie ein Mensch stellte es sich auf die Hinterbeine, und obwohl Torak fünfzig Schritt über ihm war, schien es ihm, als könnte er die Hand ausstrecken und es berühren.
    Der Bär hob den Kopf und sah ihm in die Augen – und Torak vergaß den Geist, vergaß, was er Fa geschworen hatte. Er stand nicht mehr auf einem vereisten Bergpfad, sondern wieder im Großen Wald. Aus der zerstörten Hütte kam Fas unbändiger Schrei: Lauf, Torak! Lauf!
    Er konnte sich nicht
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