Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)
Autoren: Michelle Paver
Vom Netzwerk:
zuckte die Achseln.
    »Und Wolf?«
    »Wolf vermisse ich immer.« Wolf hatte sich schlicht geweigert, in das Boot zu steigen, und so war ihnen nichts anderes übrig geblieben, als ihn an Land zurückzulassen. Bald zurück , hatte Torak seinem Rudelgefährten in Wolfssprache mitgeteilt, war sich aber nicht sicher gewesen, ob Wolf ihn auch verstanden hatte.
    Bei dem Gedanken an Wolf wurde er sofort unruhig. »Es wird allmählich spät«, sagte er. »Bis zur Dämmerung müssen wir auf der Klippe sein.«
    Aus diesem Grund hatten er, Renn und Fin-Kedinn die Reise überhaupt angetreten. Nach dem Winter hatten die störenden Zwischenfälle auf der Insel abermals eingesetzt, und sie vermuteten, dass die Seelenesser dahintersteckten. Die Seelenesser suchten nach dem letzten Stück des Feueropals, das seit dem Tod des Robbenschamanen irgendwo auf der Klippe versteckt lag. Seit dem letzten Halbmond hielten die Robben nachts abwechselnd Wache. Heute Abend waren Torak und Bale an der Reihe.
    Bale schrubbte mit nachdenklicher Miene das Kochleder mit Sand aus. Er öffnete den Mund, schüttelte dann aber den Kopf und runzelte die Stirn.
    Da Bale sonst nie zögerte, hatte er offenbar etwas Wichtiges zu sagen. Torak zwirbelte einen Strang Seegras zwischen den Fingern und wartete.
    »Wenn du in den Wald zurückkehrst«, setzte Bale an und sah ihm dabei nicht in die Augen, »will ich Renn fragen, ob sie hierbleibt. Bei mir. Ich möchte wissen, wie du darüber denkst.«
    Torak wurde mit einem Mal sehr still.
    »Torak?«
    Torak legte das Seegras zurück auf das Feuer und sah zu, wie die Flammen dunkelrot aufleuchteten. Mit einem Mal war ihm so, als stehe er am Rand einer unsichtbaren Klippe. »Renn kann tun und lassen, was sie will«, erwiderte er.
    »Ich frage aber dich. Was hältst du davon?«
    Mit einem Satz war Torak auf den Beinen. In ihm kribbelte es vor Wut und sein Herz hämmerte schmerzhaft. Er starrte auf Bale hinunter, Bale, der gut aussah und älter war und obendrein einem Clan angehörte. Er spürte, dass sie aufeinander losgehen würden, wenn er noch länger blieb – und diesmal nicht nur zum Spaß. »Ich gehe«, sagte er.
    »Zurück ins Lager?«, fragte Bale mit gespielter Ruhe.
    »Nein.«
    »Wohin gehst du dann?«
    »Einfach weg.«
    »Und wer hält Wache?«
    »Das übernimmst du.«
    »Torak, hör mal …«
    »Ich habe gesagt, du übernimmst das!«
    »In Ordnung, ist ja schon gut.« Bale starrte in die Flammen.
    Torak drehte sich abrupt um und rannte zu seinem Boot.
    Er paddelte nach Norden die Küste hinauf, so weit wie möglich weg vom Lager der Robben. Sein Zorn war verflogen und einer kalten, aufwühlenden Verwirrung gewichen. Er sehnte sich schrecklich nach Wolf, aber Wolf war weit weg.
    In der nächsten schmalen Bucht legte er an und trug das Hautboot bis zu den spärlichen Bäumen am Fuße des Abhangs. Er brauchte unbedingt den Geruch der Birken und Ebereschen, auch wenn die Bäume hier verkümmert und vom salzigen Wind zerzaust waren. Er konnte jetzt einfach nicht in die Robbenbucht zurück, zumindest nicht heute Nacht, und beschloss, an Ort und Stelle sein Lager aufzuschlagen.
    Er hatte weder Rückentrage noch Schlafsack dabei, aber seit er ausgestoßen worden war, trug er das allernötigste stets bei sich: Axt, Messer, Zunderbeutel. Nachdem er das Boot mit dem Kiel nach oben auf den Schwemmstecken aufgebockt hatte, schichtete er an den Seiten Zweige und trockenen Farn auf, bis es einen brauchbaren Unterschlupf abgab. Dann weckte er ein Feuer aus Treibholz und häufte dahinter Steine auf, damit sie die Wärme abstrahlten. Aus dem trockenem Farn und dem Seegras ließ sich ein brauchbares Nachtlager aufschütten. In seiner Kapuzenjacke aus Rentierleder und den Beinlingen würde er es warm genug haben. Falls nicht, hatte er eben Pech gehabt.
    Der Nachthimmel war klar, der Birkenblutmond – den die Robben den Mond der Wandernden Dorsche nannten  – neigte sich seinem Ende zu, und vom Ufer her war das leise Knirschen einer einzelnen Eisscholle zu vernehmen, die immer wieder gegen die Steine geworfen wurde. Hinter dem Schein des Feuers hockten Rip und Rek eng aneinandergeschmiegt in der Astgabel einer Esche, die Köpfe nach Rabenart unters Gefieder gesteckt.
    Torak lag wach und schaute in die Flammen. Es war neun Monde her, seit man ihn ausgestoßen hatte. Trotzdem war es immer noch ein seltsames Gefühl, dass er sein Lagerfeuer im Freien nicht mehr verstecken musste.
    Er sollte besser umkehren.
    Aber er konnte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher