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Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)
Autoren: Michelle Paver
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darin befunden hatte. Er war etwa so groß wie eine Schlehenbeere.
    Toraks Pulsschlag dröhnte in seinen Ohren, und Renns Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen, als sie sagte: »Er hat ihn gefunden, Torak. Thiazzi hat den Feueropal.«

    »Zu niemandem ein Wort davon«, befahl Fin-Kedinn. »Weder dass er ermordet wurde noch von wem oder warum.«
    Torak war sofort einverstanden, aber Renn war bestürzt. »Nicht einmal zu seinem Vater?«
    »Zu niemandem«, wiederholte der Anführer der Raben mit fester Stimme.
    Sie hockten am Flussufer am Südende der Bucht und tupften sich mit Lehm die Trauerbemalung in die Gesichter. Das Dröhnen des Wasserfalls übertönte ihre Stimmen, womit keine Gefahr bestand, dass die Robbenfrauen, die weiter flussabwärts das Trauermahl zubereiteten, oder die Männer, die Bales Hautboot für die Todesreise rüsteten, sie hörten. Die Robben arbeiteten schweigend, um die Seele des toten Jungen nicht zu kränken. Torak fand, dass sie aussahen wie Menschen in einem Traum.
    Sie arbeiteten schon den ganzen Tag und er hatte ihnen geholfen. Nun zog langsam die Dämmerung herauf, und jede Hütte, jedes Hautboot und sämtliche Holzgestelle mit den trocknenden Dorschen waren zum Südende der Bucht transportiert worden, so weit wie möglich von der Klippe entfernt. Nur die Hütte, die sich Bale mit seinem Vater geteilt hatte, war im Norden geblieben. Man hatte sie mit Öl übergossen und angezündet. Torak sah sie brennen: ein rotes Auge, das ihn aus der einsetzenden Dunkelheit anstarrte.
    »Aber das ist nicht richtig «, protestierte Renn.
    »Es geht nicht anders.« Ihr Onkel suchte ihren Blick. »Denk doch einmal nach, Renn. Wenn sein Vater Bescheid wüsste, würde er sich rächen wollen.«
    »Na und?«, erwiderte sie.
    »Dabei würde es nicht bleiben«, sagte Fin-Kedinn. »Der ganze Clan würde darauf bestehen, den Mord an einem der Ihren zu rächen.«
    »Na und?«, wiederholte Renn.
    »Ich kenne Thiazzi«, fuhr Fin-Kedinn fort. »Er versteckt sich nicht auf den Inseln, sondern kehrt so schnell wie möglich in den Wald zurück, wo seine Macht am größten ist. Der schnellste Weg dorthin führt über den Tauschplatz an der Küste …«
    »Und wenn die Robben ihn verfolgen«, warf Torak ein, »hetzt er sie gegen die anderen Clans auf und macht sich aus dem Staub.«
    Der Rabenhüter nickte. »Deswegen ist es besser zu schweigen. Die Meerclans und die Waldclans sind noch nie besonders gut miteinander ausgekommen. Genau das würde Thiazzi zu seinem Vorteil nutzen. Seine besondere Stärke besteht darin, alle gegeneinander auszuspielen und überall Hass zu säen. Ihr müsst mir beide versprechen, dass ihr Stillschweigen bewahrt. Erzählt niemandem davon.«
    »Ich verspreche es«, sagte Torak. Er wollte auf keinen Fall, dass die Robben Thiazzi verfolgten. Die Rache gehörte ihm. Ihm allein.
    Nur widerwillig gab Renn klein bei. »Trotzdem dürfte es sein Vater früher oder später herausfinden«, sagte sie. »Er hat das … das Blut unter seinen Fingernägeln doch auch bemerkt, genau wie wir.«
    »Nein«, entgegnete Fin-Kedinn. »Dafür habe ich gesorgt.« Mit den grauen Streifen auf der Stirn und an den Wangen wirkte er fremd und abweisend. »Kommt«, sagte er und erhob sich. »Es ist an der Zeit, dass wir uns den anderen anschließen.«
    Die Robben hatten am Strand einen Kreis aus brennenden Tangfackeln aufgestellt, der orangerot unter dem dunkelblauen Himmel leuchtete. In der Mitte des Kreises lag Bale in seinem Hautboot. Die dicken schwarzen Rauchwolken brannten in Toraks Augen. Er atmete den Gestank des heißen Robbentrans ein und spürte, wie die Trauerbemalung auf seinem Gesicht trocknete und steif wurde.
    Bales Bestattungszeremonie, dachte er. Das kann doch nicht sein.
    Zuerst trat Bales Vater an das Boot und legte behutsam seinen Schlafsack über den Toten. Er hatte beide Söhne an die Seelenesser verloren und seine Miene war wie versteinert. Er sieht aus, als wäre er auf dem Grund des Meeres, dachte Torak.
    Danach gab jedes Mitglied des Clans dem Toten ein Geschenk auf seine Reise mit. Asrif einen Essnapf, Detlan einige Angelhaken, und seine kleine Schwester, die Bale sehr gern gehabt hatte, konnte ihre Tränen gerade lange genug zurückhalten, um eine kleine Steinlampe in das Boot zu legen. Andere gaben Kleidung, getrocknetes Wal- oder Dorschfleisch, Netze aus dem Garn von Robbendärmen, Speere und ein Seil. Fin-Kedinn legte eine Harpune in das Boot, Renn ihre drei besten Pfeile und Torak sein
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