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Christianisierung und Reichsbildungen - Europa 700 - 1200

Christianisierung und Reichsbildungen - Europa 700 - 1200

Titel: Christianisierung und Reichsbildungen - Europa 700 - 1200
Autoren: C.H.Beck
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sich in der Folgezeit (anders als die Awaren) dem zahlenmäßig überwiegenden Slawentum kulturell und sprachlich anpaßte.
Nördliche und westliche Peripherie
    Während die Awaren, Slawen und Bulgaren immerhin eine gewisse Beachtung in zeitgenössischen Schriftquellen aus der christlichen Welt fanden, lag der gesamte Norden Europas um 700 noch im Halbdunkel der Vorgeschichte. Vom Dasein der Menschen, die nach philologischen Merkmalen baltischer, finno-ugrischer oder nordgermanischer Sprache waren, zeugen lediglich Bodenfunde, die über Siedlung, Grabsitten und materielle Kultur, ferner über Verkehrswege, Schiffahrt und Warenaustausch lückenhaften Aufschluß gewähren und gelegentlich auch Unterschiede zwischen Arm und Reich, aber nichts von einer politischen Formation erkennen lassen. Einen Sonderfall scheinen allein die Dänen zu bilden, deren Volksname (sogar mit einem vereinzelten König) bei lateinischen wie griechischen Geschichtsschreibern bereits um die Mitte des 6. Jhs., dann jedoch erst wieder nach 700 auftaucht.
    Von den urtümlichen Zuständen in den Ländern rund um die Ostsee und entlang den östlichen Küsten der Nordsee zu unterscheiden ist das frühmittelalterliche Erscheinungsbild der keltischen Völker. Deren Sprachen waren noch während der Antike inweiten Teilen West-, Mittel- und Südeuropas verbreitet gewesen, wurden aber im Zuge der Expansion römischer Herrschaft vom Lateinischen überlagert und blieben allein auf den beiden großen Inseln Nordwesteuropas lebendig. Da Britannien bald nach dem Abzug der Römer im Süden und in der Mitte durch germanisch sprechende Angelsachsen vom Kontinent in Beschlag genommen wurde, war das Keltentum fortan ganz auf die Peripherie Europas abgedrängt. Dazu gehörten der äußerste Westen Britanniens (Wales, Cornwall) und die festländische Bretagne als Rückzugsräume von keltischen Briten, vor allem aber Irland, dessen Bevölkerung, als
Scotti
bezeichnet, auch auf den Norden Britanniens ausgriff und dort allmählich Schottland entstehen ließ. Irland war am Rande der lateinischen Welt das einzige Gebiet, wo schon in spätantiker Zeit das Christentum außerhalb des Imperium Romanum Fuß gefaßt hatte und daher die Voraussetzungen für eine spezifische Schriftkultur heranreifen konnten. Sie erstreckte sich längst vor 700 nicht bloß auf das Lateinische, sondern auch auf die Volkssprache und hat eine stattliche Anzahl einheimischer Quellen hervorgebracht, die den Eindruck einer bäuerlichen Gesellschaft mit Vorliebe für die Viehzucht und geringerer Neigung zum Handel über See vermitteln. Das völlige Fehlen von Städten und römischen Verwaltungseinheiten begünstigte eine extreme politische Zersplitterung, die im 7./8. Jh. im Nebeneinander von über 100 «Königen», in Wahrheit kaum mehr als Oberhäuptern von Sippenverbänden, zum Ausdruck kam. Ständig gab es Rivalitäten unter ihnen, und erst mit der Zeit verfestigten sich gewisse Rangunterschiede, doch blieb die Grüne Insel stets von einer politischen Einigung weit entfernt. Die eigentümliche Sozialstruktur prägte auch die Ordnung des kirchlichen Lebens, in dem große Klöster mit Rückhalt an mächtigen Familien gegenüber Bischofssitzen mit räumlich abgegrenzten Sprengeln dominierten.
Bevölkerung und Siedlung
    Angesichts der massiven Unterschiede in der historischen Entwicklung, die sich gerade auch im Quellenangebot niederschlagen, fallen generelle Aussagen über Europa um 700 schwer. Wieviele Menschen damals den Kontinent bewohnten, läßt sich schon deshalb auch nicht annähernd in Zahlen fassen, weil die spärlichen archäologischen oder literarischen Anhaltspunkte, die es für derartige Schätzungen gibt, stets nur für begrenzte Räume Gültigkeit haben und sich keinesfalls zu einem Gesamtbild zusammenreimen. Eher möglich sind tendenzielle Feststellungen. So gilt wie im Altertum auch im gesamten Mittelalter, daß der Süden und der Westen Europas, wohin die Herrschaft der Römer gereicht hatte, dichter besiedelt waren als die Länder des Nordens und des Ostens. Von der Anzahl der Beteiligten an den germanischen Wanderungen, die kaum jemals 100.000 Personen überschritten hat (und meist weit darunter lag), darf man sich keine übertriebenen Vorstellungen machen, und vollends ins Reich der Legende gehört die Vorstellung von einer frühen Überbevölkerung in Skandinavien, die zum Wegziehen von dort genötigt hätte. Andererseits gibt es deutliche Indizien für einen verbreiteten
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