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Chocolat

Chocolat

Titel: Chocolat
Autoren: Joanne Harris
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schrubbten Fußböden und ließen ganze Flutwellen über die schmale, schmutzverkrustete Treppe stürzen, bis wir beide vollständig durchnäßt waren. Anouks Wurzelbürste wurde zu einem U-Boot und meine zu einem Panzerkreuzer, der laut polternde Seifentorpedos über die Treppenstufen in den Flur hinunter abfeuerte. Mitten in diesem Spaß hörte ich die Türglocke läuten, und als ich, die Seife in der einen und die Bürste in der anderen Hand, aufblickte, sah ich den Priester in der Tür stehen.
    Ich hatte mich schon gefragt, wie lange es dauern würde, bis er uns seine Aufwartung machte.
    Er betrachtete uns lächelnd. Ein zurückhaltendes, gnädiges Lächeln; der Gutsherr begrüßt ungelegene Gäste. Ich spürte, wie er mich in meinem schmutzigen Overall musterte, mein mit einem roten Tuch lose zusammengebundenes Haar, meine nackten Füße in den von Putzwasser triefenden Sandalen.
    »Guten Morgen.« Ein kleines Rinnsal schmutzigen Wassers lief langsam auf seine blankpolierten Schuhe zu. Ich sahseinen Blick kurz zu dem Rinnsal und dann wieder zu mir schnellen.
    »Francis Reynaud«, sagte er, während er diskret zur Seite trat. »Der Curé der Gemeinde.«
    Ich mußte lachen.
    »Ach so«, sagte ich ironisch. »Und ich dachte schon, Sie gehörten zum Karnevalsumzug.«
    Höfliches Lachen; hi hi hi .
    Ich streckte ihm einen gelben Plastikhandschuh entgegen.
    »Vianne Rocher. Und der Kanonier da oben ist meine Tochter Anouk.« Geräusche von Seifenexplosionen und ausgelassenem Gerangel zwischen Anouk und Pantoufle. Ich konnte förmlich hören, wie der Priester darauf wartete, von Monsieur Rocher zu hören. Wieviel angenehmer wäre es doch, alles schwarz auf weiß zu haben, auf einem offiziellen Formular, dann könnte man sich dieses lästige Gespräch ersparen …
    »Ich nehme an, Sie hatten heute morgen viel zu tun.«
    Er tat mir plötzlich leid, wie er dastand und krampfhaft versuchte, ins Gespräch zu kommen. Wieder das gezwungene Lächeln.
    »Ja, wir müssen dieses Haus so schnell wie möglich in Ordnung bringen. Es gibt noch sehr viel zu tun! Aber wir wären sowieso nicht in die Kirche gekommen , Monsieur le Curé . Wir sind keine Kirchgängerinnen, wissen Sie.« Es war nett gemeint, sollte ihm zeigen, wo er uns einzuordnen hatte, ihn beruhigen; doch er wirkte verblüfft, beinahe beleidigt.
    »Ach so.«
    Es war zu direkt gewesen. Er hätte es vorgezogen, noch ein bißchen mit mir um den heißen Brei herumzustreichen wie zwei mißtrauische Katzen.
    »Aber es ist sehr freundlich von Ihnen, uns willkommen zu heißen«, fuhr ich heiter fort. »Vielleicht können Sie uns sogar dabei behilflich sein, hier ein paar neue Freunde zu finden.«
    Er hat tatsächlich etwas von einer Katze; die kalten, blassen Augen, die dem Blick nicht standhalten, die nervöse Wachsamkeit, die beherrschte Distanziertheit.
    »Ich werde tun, was ich kann.« Das Wissen darum, daß wir keine neuen Schäfchen in seiner Herde sein werden, macht ihn gleichgültig. Doch sein Gewissen treibt ihn dazu, mehr anzubieten, als er zu geben bereit ist. »Brauchen Sie sonst noch etwas?«
    »Nun, wir könnten ein bißchen tatkräftige Hilfe gebrauchen«, sage ich. »Ich meine, natürlich nicht von Ihnen«, fahre ich schnell fort, um ihm zuvorzukommen. »Aber vielleicht kennen Sie jemanden, der sich ein bißchen Geld verdienen möchte? Einen Putzer zum Beispiel, jemand, der uns beim Renovieren helfen könnte?«
    Das war sicherlich kein heikles Thema.
    »Mir fällt niemand ein.« Er ist der vorsichtigste Mensch, dem ich je begegnet bin. »Aber ich werde mich umhören.« Vielleicht wird er es tatsächlich tun. Er kennt seine Pflichten gegenüber Neuankömmlingen. Aber ich weiß, er wird niemanden finden. Wohlwollend Gefälligkeiten zu erweisen liegt nicht in seiner Natur. Sein Blick glitt mißtrauisch zu dem Salz und Brot an der Tür.
    »Das bringt Glück.« Ich lächelte, doch sein Gesicht war wie versteinert. Er machte einen Bogen um die kleine Opfergabe, als sei sie eine Beleidigung für ihn.
    »Maman?« In der Tür erschien Anouks Kopf, die Haare wild in alle Richtungen abstehend. »Pantoufle will draußen spielen. Dürfen wir?«
    Ich nickte.
    »Bleibt im Garten.« Ich wischte ihr einen Schmutzfleck von der Nase. »Du siehst aus wie ein richtiger Kobold.« Gerade rechtzeitig bemerkte ich den seltsamen Blick, mit dem sie den Priester musterte. »Das ist Monsieur Reynaud, Anouk. Willst du ihm nicht guten Tag sagen?«
    »Hallo!« rief Anouk auf dem Weg zur Tür.
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