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Cheffe versenken (German Edition)

Cheffe versenken (German Edition)

Titel: Cheffe versenken (German Edition)
Autoren: Christiane Güth
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verdanken.«
    »Deiner kleinen alten Freundin vom Ching Chang Chung?«
    Aus der Sicht einer 14-Jährigen war Edith tatsächlich alt. Schließlich passte sie mit Mitte vierzig so gar nicht in meinen Freundeskreis.
    Ich hatte Edith bei einem Tai-Chi-Kurs kennengelernt. Nach einem kleinen Zusammenbruch während einer Semesterarbeit empfahl mir mein Arzt etwas mehr Ruhe und weniger Action. Wenn ich es nicht mit Meditation versuchen wollte, so könnte ich wenigstens fernöstliche Konzentration und Entspannung üben. Dabei war ich gar nicht wegen Überarbeitung zusammengeklappt, sondern aus Frust, mehr als drei Tage diszipliniert in meinem Zimmer hocken zu müssen. Tai Chi klang irgendwie exotisch, und darum meldete ich mich zum Kurs an. Auch Edith kam auf Anraten ihres Arztes zu den Übungsabenden. Sie hatte einen ziemlich stressigen Job im Reiseführerverlag Bellersen. Ich kapierte nicht, was daran stressig sein sollte, aber Edith meinte, kein Mensch könne sich vorstellen, wie viel Ärger und welch enormen psychischen Belastungen sie ausgesetzt sei, etwa bei der rechtzeitigen Fertigstellung eines Buches über Wanderwege im Sauerland. Im Gegenzug schilderte ich ihr mein Hörsaal-Martyrium, und so verstanden wir uns trotz des Altersunterschieds prima und leisteten uns gegenseitig Beistand.
    »Was ist das für ein Job bei Bellersen?«, wollte Rahel wissen.
    »Nächstes Jahr feiert der Verlag sein 50-jähriges Jubiläum. Jetzt sucht Bellersen kurzfristig jemanden, der eine Verlagschronik schreibt.«
    »Eine Verlags-was?«
    »Die Geschichte des Unternehmens.«
    »Cool.«
    »Finde ich nicht. Du kennst doch das alte Bellersen-Gemäuer, oder? Möchtest du in diesem Verlies zwischen lauter verstaubten Akten hocken?«
    »Wenn da ein paar gute Typen sind – klar.«
    Rahel grinste und knabberte an einem Nutella-Toast.
    »Und wie kommen die ausgerechnet auf dich?«
    »Die Verlagsredakteure haben keine Zeit, und da hat Edith mich gestern einfach empfohlen.«
    »Dich? Empfohlen?«
    Rahel lachte laut auf.
    »Weiß Edith nicht, was passiert, wenn du zu lange auf deinem Hintern sitzt?«
    Meine pubertierende Nichte kannte mich ziemlich gut.
    »Hör mal, Rahel. Ich tue Edith den Gefallen und stelle mich brav bei Bellersen vor. Sollte der Job nichts für mich sein, gehe ich zur Eisdiele und arbeite dort. So einfach ist das.«
    »Na, dann viel Spaß!«, scherzte Rahel und räumte ihr Geschirr in die Spülmaschine. »Muss noch was für die Schule ausdrucken.«
    Sie schlenderte in ihr Zimmer, aus dem kurze Zeit später laute Beats dröhnten. Ich hatte immer gedacht, ich sei Meisterin im Multitasking. Doch das, was Rahel täglich veranstaltete, grenzte an Zellteilung: Sie hörte Musik, telefonierte mit ihrer Freundin, chattete gleichzeitig im Internet, und das alles, während sie ihre Englisch-Hausaufgaben machte.
    Ich beschloss, Rahel nichts von den gemeinen Rauswurfplänen ihrer Mutter zu erzählen. Immerhin hatte ich noch einen Funken Hoffnung, dass Betty sich bis zum Abend wieder beruhigte und alles so wäre wie immer.
    15 Minuten später machte Rahel sich auf den Weg zur Schule, sehr zufrieden damit, ihrer alten Tante ein paar zeitgemäße Stylingtrends untergejubelt zu haben. Ich bat sie, Betty nichts von meinem Termin zu verraten. Schließlich war das meine Angelegenheit.
    Die türkisfarbene Bluse war in der Zwischenzeit nicht gewachsen, und ich musste mir etwas einfallen lassen.
    Um kurz nach acht klingelte ich eine Etage tiefer im Erdgeschoss bei Florence und Gerd.
    Florence öffnete die Wohnungstür und starrte mich an.
    »Mon Dieu, komm schnell, Gerd, da steht eine große Engelschen vor unserer Tür.«
    Ihr Mann fuhr in einem glänzenden Rollstuhl vor und musterte mich.
    Unser skurriles Vermieterehepaar wohnte im selben Haus. Wenn es um warme Mahlzeiten und Pannenhilfe ging, waren sie für Betty, Rahel und mich die erste Anlaufstelle.
    Florence stammte aus Genf. Bevor sie auf einer Tournee Gerd kennenlernte, reiste sie als Solo-Cellistin durch die Welt. Mit ihrem langen, schwarzgrau melierten Haar war sie für ihre sechzig Jahre noch immer bildhübsch. Florence hatte einen ausgeprägten Blumentick und liebte düstere Krimis, die ich nicht mal unter Valiumgabe und mit psychologischer Betreuung lesen würde. Zu Gerds Missfallen ging ab und zu die Phantasie mit ihr durch. Dann glaubte sie, Gütersloh sei eine einzige Ansiedlung paranoider Mörder und Triebtäter. So viele Gestörte wie in Florence’ Vorstellung konnte es hier gar
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