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Charlston Girl

Charlston Girl

Titel: Charlston Girl
Autoren: authors_sort
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lebte. Eine junge Frau, die furchtbar gern Charleston tanzte, Cocktails trank, ihren Booty in Nachtclubs und an Dorfbrunnen schüttelte, zu schnell Auto fuhr, zu viel Lippenstift auftrug, Lungentorpedos rauchte und... auch dem Biberbürsten nicht abgeneigt war.«
    Ich gehe davon aus, dass niemand im Publikum weiß, was »Biberbürsten« bedeutet. Und tatsächlich lächeln sie mich höflich an, als hätte ich gesagt, sie sei eine leidenschaftliche Floristin.
    »Nur Stricken konnte sie nicht leiden«, füge ich hinzu. »Das sollte festgehalten werden. Dafür las sie gern Grazia .« Gelächter hallt durch die Kirche, was gut ist. Ich wollte, dass gelacht wird.
    »Für uns, ihre Familie«, fahre ich fort, »war sie natürlich nicht nur eine Namenlose auf einem Gemälde. Sie war meine Großtante. Sie wird immer ein Teil von uns bleiben.« Ich zögere, als ich zu der Stelle komme, die mir am meisten bedeutet. »Allzu leicht tut man seine Familie ab. Allzu leicht nimmt man sie für selbstverständlich. Doch die Familie ist unsere Geschichte. Sie ist ein Teil von uns. Und ohne Sadie wären wir alle heute nicht, was wir sind.«
    Ich kann nicht umhin, Onkel Bill an dieser Stelle einen strafenden Blick zuzuwerfen. Aufrecht sitzt er neben Dad, in einem maßgeschneiderten Anzug mit einer Nelke im Knopfloch, und macht einen erheblich ausgemergelteren Eindruck als am Strand von Südfrankreich. Alles in allem war der letzte Monat für ihn nicht so toll. Sämtliche Tageszeitungen und Wirtschaftsmagazine schreiben über ihn, allerdings nichts davon positiv.
    Anfangs hätte ich ihn am liebsten ausgesperrt. Sein Pressesprecher wollte unbedingt, dass er teilnimmt, um die schlechte PR etwas auszugleichen, aber ich konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass er hereinstolziert, im Mittelpunkt steht und seine übliche Onkel-Bill-Nummer abzieht. Doch dann habe ich es mir anders überlegt. Ich dachte, wieso sollte er nicht kommen und Sadie die letzte Ehre erweisen? Wieso sollte er nicht kommen und hören, wie toll seine Tante war?
    Also wurde ihm die Teilnahme gestattet. Unter meinen Bedingungen.
    »Wir sollten sie in Ehren halten. Wir sollten dankbar sein.«
    Unwillkürlich werfe ich Onkel Bill den nächsten, vielsagenden Blick zu. Da bin ich nicht die Einzige. Alle sehen immer wieder zu ihm hinüber. Manche stoßen sich dabei an und tuscheln.
    »Aus diesem Grunde habe ich - zum Gedenken an Sadie -die Sadie Lancaster Foundation gegründet. Die Gelder werden von einem Kuratorium an Institutionen weitergeleitet, die in ihrem Sinne wirken. Insbesondere werden wir verschiedene Vorhaben fördern, die sich dem Tanz widmen, wohltätige Organisationen für Senioren, das Fairside Nursing Home und die London Porträt Gallery, als Dank dafür, dass Sadies Gemälde in den vergangenen siebenundzwanzig Jahren dort so wohlbehütet war.«
    Ich grinse Malcolm Gledhill an, der breit zurückgrinst. Wie ein Schneekönig hat er sich gefreut, als ich es ihm mitteilte. Er lief rot an und meinte sofort, ob ich nicht Fördermitglied werden wollte oder in den Vorstand gehen oder so was, wo ich doch so eine ausgewiesene Kunstliebhaberin bin. (Ich konnte ja schlecht sagen: Eigentlich bin ich nur eine Liebhaberin. Die anderen Bilder können mir im Grunde gestohlen bleiben.)
    »Außerdem möchte ich bekannt geben, dass mein Onkel, Bill Lington, folgende Erklärung zu Sadie abgibt, die ich hiermit in seinem Namen verlese.«
    Nie im Leben würde ich Onkel Bill auf dieses Podium lassen. Oder ihn seine Erklärung selbst formulieren lassen. Er weiß nicht mal, was ich gleich sagen werde. Ich entfalte ein Blatt Papier und warte, bis alles still ist, bevor ich beginne.
    »Einzig und allein durch das Gemälde meiner Tante Sadie konnte ich in der Geschäftswelt Fuß fassen. Ohne ihre Schönheit, ohne ihre Hilfe, befände ich mich nicht in der privilegierten Position, die ich heute bekleide. Zu ihren Lebzeiten habe ich sie nicht ausreichend gewürdigt. Das tut mir ehrlich leid.« Ich lege eine effektvolle Pause ein. Die ganze Kirche ist von atemloser Stille erfüllt. Ich sehe, dass die Journalisten eifrig mitschreiben. »Daher freue ich mich, heute bekannt zu geben, dass ich die Sadie Lancaster Foundation mit einer Spende von zehn Millionen Pfund unterstützen möchte. Als kleine Wiedergutmachung für einen ganz besonderen Menschen.«
    Überall wird getuschelt. Onkel Bill hat eine etwas teigige Farbe angenommen, mit erstarrtem Lächeln. Ich sehe Ed an, der mir zuzwinkert und den
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