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Charlston Girl

Charlston Girl

Titel: Charlston Girl
Autoren: authors_sort
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Daumen hebt. Es war Eds Idee, zehn Millionen zu fordern. Ich war auf fünf eingestellt und fand das eigentlich schon heftig genug. Aber das Tolle ist, dass er jetzt, nachdem ihn sechshundert Zeugen und ein ganzer Schwung Journalisten gehört haben, nicht mehr kneifen kann.
    »Ich möchte Ihnen allen von Herzen danken, dass Sie gekommen sind.« Ich sehe mich in der Kirche um. »Sadie lebte schon im Pflegeheim, als man ihr Porträt entdeckte. Sie hatte keine Ahnung davon, wie sehr sie bewundert und geliebt wurde. Sie wäre überwältigt gewesen, wenn sie heute hätte hier sein können. Sie hätte gemerkt...« Plötzlich merke ich, dass mir die Tränen kommen.
    Nein. Ich muss mich zusammenreißen. Es hat bis jetzt so gut geklappt. Irgendwie bringe ich ein Lächeln zustande und hole tief Luft.
    »Sie hätte gemerkt, was für Spuren sie hinterlassen hat. Sie hat so vielen Menschen Freude bereitet, und ihr Vermächtnis wird Generationen überdauern. Als ihre Großnichte bin ich unglaublich stolz.« Ich drehe mich um und betrachte das Gemälde schweigend, dann sehe ich wieder ins Publikum. »Nun bleibt mir nur noch zu sagen... Auf Sadie! Wenn Sie jetzt mit mir Ihr Glas erheben wollen...«
    Ein Rascheln und Klirren und Rumoren macht sich breit, als sich alle vorbeugen und ihre Cocktailgläser nehmen. Jeder Gast bekam am Eingang einen Cocktail: einen Gin Fizz oder einen Sidecar, extra gemixt von zwei Barkeepern aus dem Hilton. (Und es ist mir total egal, ob man normalerweise bei Gedenkgottesdiensten Cocktails trinkt oder nicht.)
    »Halali!« Ich hebe mein Glas, und alle antworten gehorsam: »Halali!« Es ist ganz still, als alle trinken. Dann hallt leises Gemurmel und Gekicher durch die Kirche. Ich sehe, dass Mum misstrauisch an ihrem Sidecar nippt, Onkel Bill seinen Gin Fizz kippt und ein rosiger Malcolm Gledhill dem Kellner winkt, dass er gleich noch einen möchte.
    Als die Orgel die ersten Akkorde von »Jerusalem« spielt, verlasse ich das Podium und gehe wieder zu Ed, der bei meinen Eltern steht. Er trägt ein elegantes Dinnerjacket aus den Zwanzigern, für das er bei einer Sotheby‘s-Auktion ein kleines Vermögen hingeblättert hat und in dem er wie ein Stummfilmstar aussieht. Als ich angesichts des Preises entsetzt aufschrie, zuckte er nur mit den Schultern und sagte, ihm sei bewusst, wie viel mir an den Zwanzigern gelegen sei.
    »Gut gemacht«, flüstert er und drückt meine Hand. »Sie wäre stolz auf dich.«
    Als das ergreifende Kirchenlied beginnt, merke ich, dass ich nicht mitsingen kann. Irgendwie ist meine Kehle wie zugeschnürt, und es kommen keine Worte heraus. Stattdessen sehe ich mir die blumengeschmückte Kirche an, die vielen Leute, die sich hier versammelt haben und aus vollem Halse für Sadie singen. So viele unterschiedliche Menschen, aus allen Schichten und Berufen. Junge, Alte, Verwandte, Freunde aus dem Pflegeheim... Menschen, die sie auf die eine oder andere Art berührt hat. Alle hier versammelt. Ihretwegen. Sie hat es verdient.
    Hatte sie schon längst.
    Als die Zeremonie beendet ist, geht der Organist zum Charleston über (Und es ist mir total egal, ob bei Gedenkgottesdiensten normalerweise Charleston gespielt wird oder nicht), und die Gemeinde geht langsam hinaus, mit Cocktailgläsern in der Hand. In der London Portrait Gallery findet zu Ehren von Sadie ein Empfang statt, dank der freundlichen Unterstützung von Malcolm Gledhill und hilfreichen Mädchen mit Anstecknadeln, die den Leuten sagen, wie sie dorthin kommen.
    Aber ich habe es nicht eilig. Ich fühle mich dem Geplauder und Geschnatter nicht gewachsen. Noch nicht. Ich sitze auf der vordersten Kirchenbank, atme den Duft der Blumen und warte, dass es etwas stiller wird.
    Ich bin ihr gerecht geworden. Zumindest glaube ich das. Ich hoffe es.
    »Liebes.« Mums Stimme unterbricht mich, und ich sehe, wie sie näher kommt. Ihr Stirnband sitzt noch schiefer als vorher. Ihre Wangen sind gerötet, und sie glüht vor Freude, als sie sich neben mich setzt. »Das war wunderschön. Wunderschön.«
    »Danke.« Ich lächle sie an.
    »Ich bin so stolz darauf, wie du es Onkel Bill gezeigt hast. Deine Stiftung wird viel Gutes tun. Und die Cocktails!«, fügt sie hinzu und leert ihr Glas. »Was für eine gute Idee!«
    Fasziniert sehe ich Mum an. Soweit ich weiß, hat sie sich heute noch gar keine Sorgen gemacht. Sie hatte keine Angst, dass manche Leute sich vielleicht verspäten oder betrinken oder ihr Cocktailglas zerschlagen oder sonst was.
    »Mum... du
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