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Charlotte

Charlotte

Titel: Charlotte
Autoren: Felix Thijssen
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nur einen Termin mit ihr zu vereinbaren und vorläufig nichts zu besprechen, aber Leonoor Brasma ging ihm auf die Nerven. »Was bezwecken Sie mit dem ganzen Theater?«
    »Gar nichts. Charlottes Mutter ist tot und sie sucht Halt bei ihrem Vater, das erscheint mir doch ganz natürlich.«
    »Dazu muss sie sich aber an jemand anderen wenden, und das wissen Sie genauso gut wie ich«, erwiderte er. »Sie lassen sie auf mich los, ohne auch nur einen Augenblick darüber nachzudenken, welche familiären Probleme mir daraus erwachsen, oder waren die auch beabsichtigt?«
    »Das arme Kind steht ganz alleine da …«
    Er fiel ihr ins Wort. »Ich denke, Sie sind ihre zweite Mutter?«
    »Ich habe ihr erzählt, wer ihr Vater ist, sonst nichts. Sie wollte sofort zu Ihnen, das finde ich ganz normal. Telefonisch waren Sie nicht zu erreichen, also ist sie nach Culemborg gefahren.«
    Er schwieg, hörte zu, wie sie ihre Zigarette rauchte, einen Augenblick lang überwältigt von der Sinnlosigkeit dieses Gesprächs.
    »Wenn es um Geld geht, muss ich Sie enttäuschen«, sagte er schließlich. »Ich sehe nicht den geringsten Grund, mich erpressen zu lassen.«
    »Haben Sie das auch Ihrer Tochter erklärt?«
    »Wie bitte?«
    »Dass Sie sie im Regen stehen lassen.«
    »Charlotte ist nicht meine Tochter und ich denke nicht daran …«
    »Ich frage mich, was Elisabeth von Ihrer Reaktion halten würde«, sagte sie, bevor er seinen Satz beenden konnte. »Ich halte ein weiteres Gespräch zwischen uns für zwecklos.«
    »Ich will Ihnen lediglich begreiflich machen, warum ich nicht ihr Vater sein kann, damit Sie es ihr erklären können. Schließlich sind Sie ihre zweite Mutter.«
    Sie schwieg einen Moment lang. »Na gut«, sagte sie dann. »Versuchen können Sie es ja mal.«
    »So bald wie möglich«, wiederholte er. »Je länger sich das alles hinzieht, desto schlimmer wird es für dieses arme Kind. Aufgrund der Flausen, die Sie ihr in den Kopf gesetzt haben, macht sie sich alle möglichen Illusionen.«
    »Vielleicht stimmt was mit Ihrem Gedächtnis nicht«, erwiderte die Frau. »Von Illusionen kann keine Rede sein. Bestimmen Sie Ort und Zeit, dann kann ich Ihnen Ihre Illusionen gerne nehmen.«
    Runing beherrschte sich. »Ich bin morgen Nachmittag zum Golf verabredet, ich denke, dass ich mich gegen fünf Uhr freimachen kann.«
    »Zum Golf verabredet?«
    »Geschäfte werden überall abgewickelt«, antwortete er unwirsch. »Ich könnte gegen halb sechs bei Ihnen am Boot sein, aber vielleicht wäre es besser, wenn Charlotte nicht dabei wäre.«
    »Um halb sechs im Restaurant des Motels Amheim?«
    Er fragte sich, ob dieses Weib sich tatsächlich einbildete, dass er sie zum Essen einladen würde. »Ich weiß ja nicht mal, wie Sie aussehen.«
    »Ich erkenne Sie schon«, sagte sie und legte auf.
    Runing blieb eine Zeit lang reglos auf dem Sofa sitzen. Dann schaute er auf die Uhr. Es war halb zwölf. Er nahm den Hörer wieder ab und wählte die Nummer von Heleens Handy.
    Heleen lag schon im Bett, wahrscheinlich in ihrem ehemaligen Mädchenzimmer, das schon vor langer Zeit zum Gästezimmer umfunktioniert worden war. »Ich bin sehr müde, ich habe morgen früh um neun meinen ersten Patienten«, sagte sie.
    »Wie geht’s dir?«
    »Schlecht.«
    »Kannst du sprechen?«
    »Ich lege meinem Sekretär solange ein Kissen auf den Kopf.«
    »Ich bin froh, dass du noch Witze machen kannst.«
    »Was hast du mir zu sagen?«
    Er hatte vorgehabt, sich neutral auszudrücken, um keine schmerzlichen Assoziationen in ihr wachzurufen, doch ihm wurde klar, dass sich solche Assoziationen automatisch einstellen würden, was immer er auch sagte. »Es gibt in meinem Leben niemanden außer dir«, sagte er. »Und das ist in den zwanzig Jahren, die wir zusammen sind, nie anders gewesen.«
    »Ich höre dir zu«, erwiderte sie. »Aber hauptsächlich deswegen, weil ich sowieso mit dem Telefon am Ohr daliege und zu müde bin, es auszuschalten. Morgen werde ich wieder mit meinen Patienten darüber philosophieren, wie die Menschen so gestrickt sind und was Männer alles wegen eines hochgewehten Sommerrocks oder der offenen Bluse einer Sekretärin aufs Spiel setzen. Ich weiß über all das genau Bescheid, und doch hatte ich nie das Gefühl, dass meine Familie dadurch in Gefahr geraten könnte oder dass meine Existenz auf Treibsand gebaut war.«
    »Dieses Mädchen ist nicht meine Tochter«, fuhr er fort. »Ich habe Fehler gemacht, aber nicht diesen.«
    »Aber die Mutter hat ja sicher nicht
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